13.Dezember
Ein fürchterlicher Lärm und ein wenig netter Fluch weckten Ole
mitten in der Nacht. Vor lauter Schreck saß er kerzengerade im Bett
und war hellwach. Der Radau war so nahe gewesen, als wäre ein
Einbrecher genau unter seinem Bett über irgendetwas gestolpert. „Es
muss ein Einbrecher sein“, flüsterte er sich selber zu. Bibbernd
vor Angst stieg er aus dem Bett und schlich sich zur Treppe. Wenn das
diese Weihnachtsmäuse wären, dann würde er laut nach Oma rufen,
soviel war sicher. Unten im Wohnzimmer war es seltsam ruhig. Doch
nein! Da jammerte ja jemand. Ob der Einbrecher sich verletzt hatte?
Vorbei war es mit der Angst. Oles gutes Herz gewann die Oberhand und
ließ in mutig rufen: „Ist dort jemand? Befindet sich da wer?“
Niemand antwortete und er rief noch einmal: „Kann ich helfen? Geht
es gut?“
„Ja kannst du! Und nein, es geht nicht gut! Ich habe diese
dämliche Blumenvase umgestoßen, die du täglich woanders
hinstellst, und mich dabei verletzt.“ „Heho, nun werde mal
nicht frech“, rief Ole mutig.
„Das hier ist mein Haus und ich kann meine Blume hinstellen wo ich
will!“ Es wurde taghell im Haus und von der Türe her erscholl Opas
Stimme:
„ Was geht hier vor, mitten in der Nacht? Warum schreist du hier
herum Ole?“ Mit einem Schritt war er beim Puppenhaus und starrte
abwechselnd ins Wohnzimmer und ins Schlafzimmer. Er hatte doch seine
Brille auf, wie konnte es da sein, dass er doppelt sah? Oben stand
ein Ole, der wütend seine Hände in die Hüften stemmte und unten
lag ein Ole, der sich das Knie rieb und ziemlich kläglich zu Opa
herüber schaute.
Ein Ole? Mit dunklen Locken? Opa rieb sich die Augen. Er war doch
schon seit einer halben Stunde wach und glaubte trotzdem, er würde
träumen. „Ole, wer ist das da in deinem Wohnzimmer?“ „Ach Opa,
das wüsste ich auch nur zu gerne“, jammerte Ole.
„Jedenfalls ist er frech und hat nix hier zu suchen, finde ich.
Kannst du mich vor ihm beschützen?“ Opa nahm Ole in die Hand und
ließ ihn von dort aus einen Blick ins Wohnzimmer werfen. „Oha, ein
Troll! Na das nenne ich ja mal eine Überraschung. Und dabei hat die
Oma meinen Wunschzettel doch noch gar nicht abgeschickt.“ „Was
hat das zu bedeuten?“ Opa verstand nun überhaupt nichts mehr.
„Wunschzettel? Du hast dir einen Troll gewünscht und nun regst du
dich auf und schreist herum, wenn er da ist?“ Oles verdatterte
Antwort ließ ihn schmunzeln: „ Naja, ich hab mir einen Freund
gewünscht vom Christkind. Keinen Einbrecher! Das die Englein in Omas
Tasche den Brief lesen gehen und den Wunsch sofort erfüllen, konnte
ich doch nicht ahnen. Und überhaupt: Ich hatte gedacht, so jemand
kommt wie jeder ehrliche Troll tagsüber höflich klopfen!“ „
Darf ich mich dazu auch mal äußern?“ fragte der Einbrecher mit
dünner Stimme. „Ich bitte darum!“ kam es von Ole und Opa wie aus
einem Mund. „Also gut: Ich bin Lasse Nisser aus der Sippe der
Nordeifler Holunderwichte. Im Sommer habe ich gesehen, wie nett ihr
zu Ole seid. Sogar einen eigenen Kartoffelacker hast du ihm angelegt
da unter meinem Hollerbusch,
direkt vor meiner Haustüre. Da habe ich gedacht, dass es bei euch
sicher auf einen Troll mehr oder weniger nicht ankommt und weil mir
draußen zu kalt war, bin ich hinter Oma her ins Haus gehuscht und
habe mich in meiner alten Behausung versteckt.“ Ole hatte es die
Sprache verschlagen. Da lebte er nun schon ein halbes Jahr hier in
der Eifel und hatte noch nicht bemerkt, dass da noch mehr waren von
seiner Art. Opa holte seine Thermoskanne und goss sich eine Tasse Tee
ein. Wollt ihr zwei auch was?“ Beide nickten und nachdem auch ihre
Tassen gefüllt waren, setzten sich die beiden in Oles Küche an den
Tisch und schwiegen sich an.
Das war Opa dann doch zu dumm und er verabschiedete sich mit den
Worten: „ Ich gehe jetzt zur Arbeit, bin sowieso schon spät dran
wegen euch beiden. Wenn ich wieder komme, möchte ich gerne hören,
wie es mit euch weitergehen soll. Ihr werdet euch ja wohl einigen
können.“ Die Türe klappte zu und weg war er. Unbehaglich
rutschten die beiden Trolle auf ihren Stühlen herum und rührten in
ihrem Tee, obwohl es nichts zu rühren gab. Opa trinkt den Tee
ungesüßt. Als Ole das Schweigen zu dumm wurde, begann er Lasse mit
Fragen zu löchern. „Wie alt bist du? Hast du Familie? Gibt es noch
mehr von euch hier in der Nähe? Hast du mir die Kartoffel geklaut im
Herbst? Und dann die Frage aller Fragen: Hast du meinen Barbarakeks
und den Käse angeknabbert und meinen Strumpf geöffnet gestern?“
Lasse schwieg beharrlich. „Nun sag schon! Die armen Weihnachtsmäuse
sind doch nicht etwa unschuldig in Verdacht geraten?“ Endlich
öffnete Lasse den Mund, um zu antworten. „ Ich hatte Hunger und da
lag der Keks einfach so rum. Dachte, du brauchst ihn nicht. Hab dich
ja beobachtet, wie du in Omas Küche gefuttert hast, was sie dir
auftischt.“ „Du hast mich gesehen und dich nicht bei mir
gemeldet? Das ist gemein von dir. Ich habe mir schon vom Christkind
einen Eifeltroll gewünscht, weil mir immer so langweilig ist, wenn
die Oma ihre doofe Hausarbeit machen muss.“ Lasse grinste von einem
Trollohr zum anderen: „ Na, nu haste mich ja. Wirst schon sehen,
was du von DEM Wunsch hast!“ Ole schaute verdutzt: „Wie meinst du
das?“ und Lasse lachte schallend:
„Du kennst dich kein bisschen aus in der Eifel, oder? Pass auf, ich
erkläre dir mal was: Wir Eifeltrolle sind schon immer arm gewesen
und leben meistens draußen. Höchstens im Winter versuchen wir mal,
in einem Haus unterzukommen. Normalerweise mögen die Eifler uns
nicht, weil wir uns Sachen leihen und dann vergessen, sie zurück zu
bringen. Naja, wer will schon einen angebissenen Keks zurück? Da
kann ich den auch gleich ganz futtern. Hier im Haus aber gibt es eine
kleine Wohnung für uns, noch von den Vorbesitzern. Da verbringe ich
den Winter drin, wenn es hier überall immer so gut riecht und so
schön warm ist. Ist zwar nicht so toll wie dein Puppenhaus, und die
Möbel sind schon älter, aber mir reicht das so.“ „Eine geheime
Wohnung, von der Oma nichts weiß? Das glaube ich dir nicht! Die weiß
alles!“ Das konnte Lasse nicht auf sich sitzen lassen. Er sprang
auf, warf dabei den Stuhl um und nahm Ole bei der Hand. „Komm mit,
ich zeig sie dir. Aber wehe, du verrätst was davon!“ Ole hinter
sich her ziehend lief er zur Treppe, die nach oben führte, hangelte
sich von Geländerstab zu Geländerstab nach oben bis in den ersten
Stock und rief: „Komm schon, oder kannst du nicht klettern?“ Da
war er bei Ole aber gerade richtig gelandet. Einer,
der am Meer hinter himmelhohen Dünen aufgewachsen war, sollte nicht
klettern können? Er würde es dem Eifelknilch schon zeigen. In
Windeseile hatte Ole die Treppe geschafft und stand vor einem
staunenden Lasse. „Hätte ich dir gar nicht zugetraut!“ rief der
voller Bewunderung. „Aber nun kommt das Schwierigste an der ganzen
Sache: Siehst du da unter der Treppe zum Dachboden das Brett? Das ist
eine Geheimtüre, da war früher alles Wichtige drin versteckt, bevor
es diese komischen Dinger Namens Schließfach gab. Die Oma unserer
Hausleute früher hat dann mal ein paar alte Puppenmöbel drin
abgestellt, weil sie dachte, sie kann so endlich beweisen, dass es
uns gibt. Mein Uropa ging immer zu ihr zum Tee, wenn alle anderen
außer Haus waren. Und drum hat ihr nie jemand geglaubt. Als die Oma
nicht mehr da war, hat man das Geheimfach schlicht und einfach
vergessen. Und jetzt wohne ich da im Winter. Meine Omi hat mir davon
berichtet, bevor sie starb.“ „Wie kommen wir denn an die
Geheimtüre ran? Das ist ja so weit weg vom Geländer?“ Mehr
brachte Ole nicht heraus. Die Geschichte war ja unglaublich. Lasse
griff in seinen kleinen Rucksack und holte ein Seil heraus, das
verdächtig nach den bunten Fäden in Omas Schachtel aussah. An einem
Ende war ein dicker Angelhaken befestigt und nun warf er das Seil
geschickt in die Ritze, die zwischen der Türe vom Geheimfach und der
Holzverkleidung kaum sichtbar war. Dann band er das andere Ende an
einem Pfosten vom Geländer fest und hangelte sich zur Tür hinüber.
Dort stemmte er sich fest gegen das Holz und hielt sich dabei am Seil
fest, bis die Türe aufsprang. Er huschte hinein ins Geheimfach und
rief leise: „ So, nun kannst du kommen.“ Ole nahm allen Mut
zusammen und machte es ihm nach. Dann stand er staunend in Lasses
Behausung und entdeckte eine junge Trollfrau, die sich gerade am Herd
zu schaffen machte.
Sie schaute sich nicht
um und murmelte nur:
„Tür zu, es wird sonst kalt .“ Lasse ging zu ihr hinüber und
sagte: „Britta, darf ich dir Ole aus Dänemark vorstellen? Er wohnt
unten im Haus und hat mich erwischt, als ich dir wieder ein Stück
Käse holen wollte.“ Britta wischte sich ihre Hände achtlos am
Bein sauber, hielt eine davon Ole entgegen und sagte: „Tach Ole,
willst du mit uns essen? Ist eh alles bei dir ausgeliehen, da kannst
du auch gleich was davon abkriegen.“ Ole schüttelte ihr die Hand
und lehnte ab. Er musste doch mit Oma frühstücken, sonst wäre die
ganze Sache doch aufgeflogen. Ein Ole, der morgens keinen Hunger hat,
hätte die Oma sicher misstrauisch gemacht. Stattdessen holte er
seinen Weihnachtstee aus seiner Puppenstube und schenkte ihn Britta.
Sie kochte auch gleich eine große Kanne Tee und füllte jedem eine
kleine Tasse voll. Dann saßen sie alle gemütlich beisammen und
redeten miteinander über ihre Familien und
überhaupt eben so alles, was sich Trolle zu erzählen haben. Als das
erste Morgenlicht durch die Ritze schien, musste Ole dann aber leider
wieder gehen, damit Oma nichts merkte, wenn sie gleich aufstand. Ole
hatte sich ins Bett gelegt und so getan, als ob er schliefe und war
dann ganz normal aufgestanden und zu Oma in die Küche gegangen zum
Frühstück. Als sie danach mit Staubwischen begann, meinte er, ihm
sei nicht gut, er müsse sich ein wenig hinlegen. Besorgt deckte Oma
ihn zu und er war im Nu eingeschlafen. Eigentlich logisch, wenn man
die halbe Nacht unterwegs war und Abenteuer erlebt hat, oder? Er
stand erst zum Abendbrot wieder auf und zwinkerte Opa verschwörerisch
zu, während er ihm mit der Hand bedeutete, nichts zu erzählen von
heute morgen. Opa hatte verstanden und schwieg wie ein Grab. Bevor er
nach dem Abendbrot ins Bett ging, musste er schließlich noch den
Adventskalender plündern. Das hatte er in der Aufregung doch total
vergessen. Er löste rasch die Schleife und tastete im Strumpf herum.
Ganz unten in der Spitze fand er eine kleine Brosche, verziert mit
Fliegenpilzen, und ihm war sofort klar, dass er die Britta schenken
musste. Diese Englein hier in der Eifel sind wirklich sehr gut
informiert, dachte er noch, als er schon fast eingeschlafen war.
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