2.Dezember


  2.Dezember
Nach einer unruhigen Nacht mit Träumen voller Tannengrün und Keksduft, war Ole also gestern Morgen aus dem Bett gesprungen, um herauszufinden, was denn am
1. Dezember so anders ist als an den Tagen vorher. Er flitzte in sein Badezimmer, stieß dabei einen Schneemann um, den er gestern selber in den Flur gestellt hatte und erledigte in Windeseile seine Morgentoilette.



Dann wollte er die Treppe hinunter sausen und blieb wie angewurzelt stehen. Was hing denn dort am Treppengeländer? Eine Schnur mit lauter Socken garnierte das ganze Geländer von oben bis unten. Überall Zahlen auf den Socken. Ganz oben hing Strumpf 23, dann kam Strumpf 20, dann der mit der 8 und so ging es weiter bis ganz unten. Er hüpfte auf der Treppe die Stufen rauf und runter und fühlte und roch an jedem Strumpf. In dem einem raschelte es geheimnisvoll, ein anderer roch verführerisch nach Schokolade und wieder ein anderer war vollgestopft bis obenhin mit etwas, das weder roch noch Geräusche machte. Ratlos drehte er den Strumpf ein paar Mal um bevor er begann, die Schleife, die den Strumpf oben verschloss, zu lösen.


„Ole! Was machst du da?“ erklang da wie aus dem Nichts Omas Stimme hinter ihm.
Erschrocken zog er seine Hand zurück. Der Strumpf entfiel ihm und baumelte wieder am Treppengeländer mit all den anderen.
„Was ich da mache? Das fragst du noch? Ich soll aufräumen und irgend jemand benutzt des Nachts mein Treppengeländer als Wäscheleine! Da werd ich doch mal nachsehen dürfen, was es damit auf sich hat.“ Oma lachte schallend: „Du kleiner Naseweis. Hab ich dir das gestern nicht gesagt? Wenn alles bereit und geschmückt ist, bringen die Englein in der Nacht einen Adventskalender, damit die Zeit bis zum heiligen Abend ein wenig verkürzt wird.“
„Adventskalender?“ Ole kratzte sich seine wirren Locken, wie Trolle es immer tun, wenn sie etwas nicht verstehen und nachdenken müssen. „Kalender sind aus Papier und man reißt jeden Tag ein Blatt ab. Wo ist das Papier und warum rascheln diese Socken?“ Oma sah ein, dass sie da wohl ein wenig mehr erklären müsse und schlug vor, dies doch beim Frühstück zu besprechen. Damit war Ole mehr als einverstanden, hatte er doch morgens immer Hunger und war ganz versessen auf die leckeren Brötchenkrümel aus der Tüte vom Bäcker. Er wurde, wie jeden Morgen, in die Küche getragen und nahm mitten auf dem Küchentisch in seinem Sessel Platz um sein Frühstück zu vertilgen. Genüsslich kaute er an den Krümeln und schlürfte seinen Tee, während Oma ihm erklärte, dass er nun jeden Morgen einen Strumpf öffnen dürfe und der Inhalt dann ihm gehöre. Eines nur müsse er beachten: er dürfe nur den Strumpf öffnen mit der Zahl, die das Datum des Tages anzeige. „Aha“, meinte er nachdenklich. „Und was passiert, wenn er ich den Falschen öffne oder mal zwei oder drei an einem Tag, weil ich gerade Lust drauf habe?“ „Tja, das würden dir die Englein übel nehmen und du siehst am nächsten Morgen, was sie davon halten.“ sagte Oma bedeutungsvoll und er dachte bei sich, dass er das lieber nicht erfahren wolle. Als sie fertig waren mit dem Frühstück wollte Ole nur noch eins: Die erste Socke öffnen! Er schob seinen Sessel zurück und lief zur Tischkante, rutschte am Zipfel vom Tischtuch hinunter auf den Stuhl und von dort ging es mit einem gewagten Sprung auf den Küchenboden. Im gleichen Moment war er auch schon durch die Küchentüre hinaus und im Wohnzimmer verschwunden. Niemand weiß, wie er es immer wieder schaffte, auf die Kommode zu klettern, auf der sein Haus stand, aber als Oma auch endlich im Wohnzimmer ankam, stand er schon auf der Treppe beim richtigen Söckchen mit der Nummer 1 und nestelte an der Schleife herum. Als sie endlich offen war, griff er neugierig in die Socke und zog ein kleines Päckchen hervor. Rotweißes Geschenkpapier war es also, was da geknistert hatte. Hastig zerriss er das Papier und öffnete die kleine Schachtel, die darunter verborgen war. Darin lag ein kleines Blechding. Es hatte die Form eines Lebkuchenmannes und glänzte wie der Schnee draußen in der Wintersonne.







„Oma, was macht man damit? Ist das was zum Spielen?“ Er hielt ihr das Teil genau vor die Brille, damit sie es auch gut sehen konnte. „Oh nein, junger Mann, das ist für deine Küche! Wir müssen doch dem Christkind helfen beim Plätzchen backen. Du sollst doch an Weihnachten nicht nur Krümel haben. Die Englein waren wohl der Meinung, du müsstest eigene backen. Wie gut, dass ich gestern schon den Teig vorbereitet habe. Dann können wir beide ja loslegen.“


Ole strahlte sie an und meinte begeistert: „ Ich darf wirklich? In deiner Küche? Mit dir?“
„Ja, du darfst und wir bekommen heute Mittag, wenn der Kindergarten zu Ende ist, auch noch Hilfe.“ „Hilfe?“ Er sah sie erstaunt an. „Ja, meine Enkel kommen, wie jedes Jahr, um mir zu helfen. Du wirst sehen, das macht Spaß und die ersten Plätzchen essen wir immer sofort. Man muss ja mal probieren, ob sie gut sind.“ Dabei zwinkerte sie ihm zu und streckte die Hand ins Puppenhaus, um ihn mit in die Küche zu nehmen. „Halt! Ich brauche noch meine Backrolle und die Schürze!“ Er rannte in die Küche, warf die Adventssocke achtlos auf den Stuhl und kramte in der Schublade im Küchenschrank. „ Da ist sie ja!“ rief er freudig und hielt die Rolle in die Höhe. Dann nahm er noch schnell die Schürze vom Haken und war bereit. Oma trug ihn in die Küche, holte dann noch seinen Küchentisch und die Bank dazu und stellte beides mitten auf ihren eigenen Küchentisch. Sie gab ihm eine kleine Kugel Teig aus dem Kühlschrank und meinte: „ Na, dann wollen wir mal loslegen, wir zwei beiden.“



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