6.Dezember

6.Dezember

Ein lautes Poltern im Hausflur weckte Ole unsanft aus seinen Träumen von Englein und ihren Flügen rund ums Haus. Er rieb sich verschlafen seine Knopfäuglein und stieg aus dem Bett. Egal was Oma da gerade tat, es war laut und gefiel ihm nicht. Da fiel ihm ein, welcher Tag heute war und seine Laune stieg ein wenig. Sollte Oma doch poltern um rumoren, wie sie wollte. Er jedenfalls würde jetzt erst einmal seinen Strumpf öffnen gehen. Auf der Treppe blieb er verdutzt stehen. Da lag doch tatsächlich eine riesige Mandarine unten an der letzten Stufe im Wohnzimmer. Was soll das denn nun wieder? schoss es ihm durch den Kopf. Er suchte nach der Nummer 6 und fand sie ganz unten als letzten Strumpf am Geländer. Als er hinein griff, fühlte er nur Papier. „Nicht schon wieder ein Zettel!“ dachte er ein wenig genervt und zog das Papier hervor. Tatsächlich! Noch ein Brief von den Englein. Er plumpste mit dem Po auf die unterste Stufe und saß dann ratlos da mit dem Zettel in der Hand. Lesen am frühen Morgen ohne Kaffee mögen Trolle nicht sonderlich, aber es nützte ja nichts. Er musste ja, wenn er wissen wollte, was darauf geschrieben war.

Lieber Ole

Die Mandarine hat leider nicht in die Socke gepasst, mussten sie leider mitten in dein Wohnzimmer legen.
Liebe Grüße Die Adventsenglein
Aha! Die Mandarine gehörte also ganz alleine ihm. Das gefiel ihm. Er rollte sie in seine Küche und stellte dann fest, dass sie nicht in den Obstkorb passte. Nun ja, er würde sie sowieso heute Abend mit seinen Freunden, den beiden Enkeln von Opa und Oma verputzen. Da machte es sicher nichts aus, wenn sie bis dahin einfach so in seiner Küche auf dem Boden liegen blieb.



Sein Magen knurrte und ihm fiel ein, dass er noch kein Frühstück gehabt hatte. Er machte sich also auf den Weg in Omas Küche, um das zu ändern. Im Türrahmen blieb er wie angewurzelt stehen. Der Nikolaus war schon da! Er stand am Küchenfenster und winkte mit einer Kerze. „ Oma!“ war das Einzige, was er hervorbrachte und das ein wenig zu laut, wie ihm schien. Oma hatte vor lauter Schreck ihre Kaffeetasse fallen gelassen und nun war da eine riesige Pfütze auf dem Küchentisch. „ Nun sieh dir mal an, was du angerichtet hast“, schimpfte Oma und holte einen Lappen, um die Ferkelei zu beseitigen.
„Entschuldige, tut mir leid!“ Ole stand noch immer im Türrahmen und starrte den Nikolaus an. „Hinter dir! Oma! Da steht er! Der Nikolaus!“ Ganze Sätze konnte er vor lauter Aufregung immer noch nicht hervorbringen. Oma lachte. „Ole, du bist und bleibst ein Angsthase. Dieser Nikolaus dort am Fenster ist meine Dekoration zu seinem Empfang heute Abend. Er muss doch wissen, in welchem Haus wir auf ihn warten.“ „Nicht echt? Dekoration? Angsthase? Ich?“ Ole riss die Augen noch weiter auf als ohnehin schon geschehen. „Ich glaube, ich brauch einen Kaffee, liebste Oma.“ So langsam ging es wieder ein wenig besser mit dem Reden. Vorsichtig näherte er sich dem Fenster. „Ah, jetzt sehe ich es. Da ist ja ein Kabel dran. Elektrisch ist der Kerl also, “ grinste er und kletterte aufs Fensterbrett, um ihn näher zu betrachten.



Oma goss ihm seinen Kaffee ein und schmierte ihm sein Frühstücksbrot. Der Kaffeeduft lockte ihn vom Fensterbrett herunter und er kletterte geschwind auf den Küchentisch. Kauend und schluckend saß er dort und man konnte sehen, wie ihm viele Fragen durch den Kopf gingen. Als sein Marmeladenbrot aufgegessen war, konnte er sich nicht mehr zurückhalten. „Oma, sag mir doch bitte, was heute Morgen so laut gerumpelt hat im Flur. Und dann muss ich noch wissen, wann der Nikolaus kommt und ob er mir auch etwas mitbringt.“ „Oha“, lachte Oma, „Das sind Fragen, die ich nicht alle beantworten kann. Gerumpelt habe ich heute Morgen. Mir ist der Karton mit dem Nikolaus die Treppe herunter gepurzelt, als ich ihn vom Dachboden geholt habe. Wann der Nikolaus kommt, weiß niemand so genau. Sein Eselchen trägt eine kleine Glocke um den Hals gebunden und man hört es schon von Weitem. Ob er dir etwas mitbringt, hängt davon ab, ob du übers Jahr nicht zu viel Unfug gemacht hast.“
„Oma, Trolle müssen Unfug machen! So ist es seit ewigen Zeiten. Da werde ich wohl nichts kriegen vom Nikolaus. Wie schade!“ Er senkte traurig den Kopf und Oma strich ihm zart über seine wirren Locken. „Nicht traurig sein, mein kleiner Freund“, sagte sie liebevoll.
„Der Nikolaus wird sicher unterscheiden können zwischen harmlosem Trollunfug und wirklich schlimmen Sachen. Warten wir es doch einfach einmal ab. Es dauert ja nicht mehr so lange bis es dunkel wird und er seine Reise beginnen kann.“ „Komm, lass und einmal schauen, ob wir nicht deinen Wunschzettel auf besonders schönes Papier schreiben können. So etwas erfreut den Nikolaus immer sehr.“ Die beiden kramten eifrig in Omas Schreibtischschublade herum, bis Ole rief: „Dieses da! Das mit den Englein drauf. So ein schönes Briefpapier hab ich noch nie gesehen. Das möchte ich bitte nehmen.“ Oma zog den Briefbogen hervor und schnitt die Ecke mit dem Englein oben links mit der Schere sauber aus. Dann reichte sie Ole den kleinen Briefbogen und meinte:
„Kleine Leute, kleiner Briefbogen.“ Dabei zwinkerte sie ihm zu und gab ihm ein Stückchen einer Bleistiftmine, die sie gerade in der Schublade entdeckt hatte. „Damit sollte es gehen“, meinte sie und er nickte zustimmend. Nachdenklich stützte er seinen Kopf in die Hand und überlegte, wie man wohl einen solchen Wunschzettel schreiben muss. Oma ließ ihn alleine und wuselte wieder im Haus herum. Ein wenig Vorbereitung war ja nötig, wenn solch hoher Besuch erwartet wurde. Immer, wenn sie an der Küche vorbei kam, warf sie einen Blick auf Ole, der fleißig Buchstaben malte auf seinen kleinen Wunschzettel.

Kurz bevor es dunkel wurde, war er endlich zufrieden mit seinem Werk und rief: „Fertig! Können wir den Brief jetzt abschicken?“ Oma kam in die Küche und nahm den Brief in die Hand. „Soso, alles in Dänisch. Na, dann wollen wir mal hoffen, dass du nicht zu spät dran bist. Es wird ja gleich schon dunkel.“ Sie reichte ihm zwei Zuckerklümpchen und ging mit ihm nach draußen ans Fensterbrett des Küchenfensters. Dort legten sie den Brief und die Klümpchen ab und beeilten sich, wieder ins Haus zu kommen. Die Englein sollten ja schließlich den Wunschzettel noch heute abholen und durften dabei nicht gesehen oder gestört werden.



Oma setzte den Wasserkessel aufs Herdfeuer und füllte in einen großen Topf Milch und Kakaopulver. Heißer Kakao für die Enkel und Tee für die Erwachsenen gehört einfach zum Nikolausabend im Advent, fand sie. Es klingelte an der Haustüre und kurz darauf stürmten ihre Enkelsöhne herein. „Ole, heute ist Nikolaustag“, rief der Große und der Kleinere nickte dazu. „Weiß ich schon“ kam es von ihm zurück. „Ist der wirklich so nett, wie Oma sagt?“ Beide riefen wie aus einem Mund: „Na klar, der bringt doch Geschenke, der muss nett sein!“ Oma füllte Kakao und Tee in hübsche Kannen und trug sie ins Wohnzimmer. Dann schaute sie bedeutungsvoll in die Runde und sagt: „ Lasst uns lieber ins Wohnzimmer gehen und dort warten, sonst denkt der Nikolaus, wir seien noch nicht bereit für seinen Besuch, wenn er durchs Fenster schaut.“ Einer nach dem Anderen stand auf und ging hinüber in die Stube. Ole ritt auf Omas Schulter, weil sie in beiden Händen einen Teller mit Hefegebäck trug. Kaum hatten alle einen Platz gefunden, da erklang ein leises Läuten auf der Straße. Oma eilte zur Tür und als sie wieder herein kam, stapfte der Nikolaus auch schon hinter ihr in die Stube. „Guten Abend alle beisammen“, sagte er mit freundlicher Stimme. „Guten Abend lieber Nikolaus!“ riefen alle gleichzeitig und man sah, das sie sich freuten, ihn zu sehen. Er schaute fragend in die Runde: „Könnt ihr denn auch ein Liedchen singen über den Nikolaus?“ Oma bot ihm ihren Vorlesesessel an und er nahm gerne dort Platz. Dann sangen alle gemeinsam: Lasst uns froh und munter sein- und ein Lächeln ging über sein Gesicht. Als das Lied verklungen war, nahm er sein goldenes Buch in die Hand, rückte seine Brille zurecht und blätterte darin herum. „Aha, soso, naja, hmmm- nun gut“, erklang es in die gespannte Stille hinein. Dann rief er einen nach dem anderen auf, bat ihn zu sich und sprach ruhig aber ernst über die Dinge, die er in seinem Buch lesen musste über denjenigen. Bei einigen musste er ein wenig ernster sprechen und von dem ein oder anderen forderte er auch das Versprechen, dass sich da so einiges ändere bis zum nächsten Nikolausabend. Ole saß ganz still und klein auf der Sofalehne und wartet gespannt darauf, dass auch er aufgerufen wurde. Da erklang auch schon die Stimme des Nikolaus: „Gibt es hier denn auch einen Ole Nisser aus Dänemark? Den möchte ich auch gerne kennen lernen.“ Zögernd ging Ole über die Sofalehne auf ihn zu und meldete sich mit ein wenig zu leiser Stimme: „Das bin ich Herr Nikolaus.“ Der Nikolaus schaute sich suchend um und kniff hinter seiner Brille die Augen ein wenig zusammen, um besser sehen zu können. „Hier bin ich, auf der Sofalehne, gleich neben Oma“, meldete Ole sich schon ein wenig mutiger. „Ah, ein Wichtel bist du also“, kam es vom Nikolaus und schon war es passiert: „Wichtel? Ich ein Wichtel? Na hör mal, siehst du denn nicht, dass ich ein Troll bin?“ Ole vergaß alle Vorsicht und stemmte die Hände in die Hüften. Oma war entsetzt über sein vorlautes Benehmen, aber der Nikolaus schmunzelte in seinen weißen Bart hinein. „Oh entschuldige, lieber Ole. Meine Augen sind nicht mehr die Besten, ich habe es nicht gleich gesehen. Na dann komm mal her, kleiner Mann.“ Er streckte die Hand aus und griff nach ihm. Ole bewunderte den riesigen Klunkerstein auf seinem Ring und vergaß, dass er eben noch ein wenig Angst gehabt hatte. St. Nikolaus hob ihn hoch und betrachtete ihn über seine Brille hinweg. „Du bist also der mit dem schönen Wunschzettel in allerletzte Minute? Das war ganz schön schwierig, bis ich ihn gelesen hatte. Winzig klein und auch noch in Dänisch. Glücklicherweise arbeiten im Weihnachtshimmel auch einige Julenisser und einer von ihnen hat mir deinen Wunsch übersetzt. Meinst du denn, dass du brav genug warst für ein Geschenk vom Nikolaus?“ Ole wurde in seiner Hand ganz klein. Noch kleiner, als er ohnehin schon ist.
„Ich weiß nicht. Bin schon manchmal zu vorlaut und unordentlich.“ murmelte er leise und der Nikolaus schmunzelte in seinen Bart.
„Na, wenn du das ja weißt, dann versprich mir, dass sich das bessert bis wir uns nächstes Jahr wieder begegnen.“ Ole nickte heftig und fühlte sich sichtlich unwohl. Da griff der Nikolaus in den großen Sack, den er vorhin neben den Sessel gestellt hatte und zog ein kleines Päckchen hervor. „Hier“, sagte er freundlich, „ich hoffe, es ist das Richtige, “ und reichte Ole das Geschenk. Dann zog er weitere Päckchen und Pakete aus dem Sack hervor und verteilte sie rundherum. Als er fertig war, verabschiedete er sich und bat um ein weiteres Lied zum Abschied. Alle gemeinsam sangen sie eine weitere Strophe des Liedes: Lasst uns froh und munter sein…..während er von Oma zur Tür begleitet wurde. Dort überreichte Oma ihm ein Büschel Heu für sein Eselchen und wünschte ihm einen guten Weg durch die Eifel. Als sie zurück ins Wohnzimmer kam, meinte sie, „Nun, dann wollen wir doch mal nachschauen, ob unsere Wünsche erfüllt wurden.“ Alle packten ihre Geschenke aus. Alle, bis auf einen. Ole saß still und staunend vor seinem Päckchen und murmelte:
„Diese Eifel….jeden Tag eine Überraschung…..ich kann es nicht glauben!“




Doch dann öffnete er sein Geschenk doch und rief: „Oma, es hat geklappt!“ Vor ihm stand ein wunderschöner Schlitten, nun musste es nur noch anfangen zu Schneien. Er schaute zum Fenster und glaubte nicht, was er da sah: Dicke Flocken fielen vom Himmel… Auch dieser Wunsch war also in Erfüllung gegangen.

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