Im Haus war es ungewöhnlich still, als Ole heute Morgen aufwachte.
Kein Geklapper von Töpfen, kein Staubsauger und keine singende Oma
störten die himmlische Ruhe im Haus. Hier stimmt etwas nicht, dachte
er und hüpfte aus dem Bett. Wo Oma wohl steckt, überlegte er auf
dem Weg ins Badezimmer. Er wusch sich in aller Seelenruhe und putze
seine Zähne. Immer noch war nichts zu hören.
Naja, er konnte ja schon mal die Blume versorgen und seinen Strumpf
Nummer fünf öffnen, bis Oma wieder da wäre. Gesagt- getan! Er
füllte seinen Putzeimer mit Wasser und schleppte ihn zur Blumenvase
im Wohnzimmer, natürlich nicht, ohne ein wenig zu kleckern. Er
wischte schnell die Pfützen auf, bevor er die Blume goss und sie
dabei genau betrachtete. „Nichts zu sehen, rein gar nichts. Nur
braunes Holz. Ob das wirklich was wird?“ Murmelnd stieg er die
Treppe hinauf und fand schließlich den richtigen Strumpf. Eine große
weiße 5 mit ein wenig Glitzer klebte darauf und er fühlte sich
seltsam leer an. „Seltsam! Ich habe doch gestern noch gefühlt,
dass etwas Großes, Viereckiges drin war.“ Oweh, die Englein hatten
doch nicht wegen seiner Neugierde das Geschenk wieder abgeholt? Die
Schleife war schnell gelöst und ein Griff hinein brachte einen
Zettel hervor. Er buchstabierte ganz
ohne Omas Hilfe die Nachricht, die darauf geschrieben stand:
Lieber Ole, heute bekommst du eine Geschichte geschenkt. Leider war unser Buch im Strumpf ein wenig zu klein für Omas Augen und sie ist nun unterwegs, um es sich als großes Buch zu besorgen. Wenn sie wieder da ist, wird sie dir unser Geschenk vorlesen. Wir entschuldigen uns für unsere Schusseligkeit.
Die
Weihnachtsenglein.
So also war das! Oma war in die Buchhandlung und die Englein hatten
das Buch wohl wieder mitgenommen. Schade, ein schönes Buch hätte
doch prima ausgesehen in seinem Regal im Wohnzimmer und vielleicht
würde er ja im nächsten Advent schon besser Deutsch lesen können.
„Ob man das den Englein irgendwie mitteilen kann?“ dachte er und
nahm sich vor, Oma zu fragen, wenn sie zurück war. Genau in diesem
Augenblick hörte er den Schlüssel in der Haustüre quietschen und
machte sich sofort auf den Weg in den Flur. „Wartest du schon auf
mich?“ fragte Oma, die vollgepackt mit Tüten herein kam. „Ich
war noch schnell beim Bäcker, beim Metzger und im Buchladen. Aber
jetzt können wir frühstücken, wenn du möchtest.“ „Ich hatte
noch keine Zeit über Frühstück nachzudenken, “ antwortet Ole und
erzählte dann, wie er den Vormittag zugebracht hatte. Oma verstaute
dabei ihre Einkäufe und deckte den Tisch. Als Ole beim verschwundenen Buch angekommen war und
bei der Frage, wie er dieses denn nun doch noch bekommen könne,
lachte Oma ein wenig und meinte: „Nichts leichter als das, lieber
Ole! Du schreibst einen Wunschzettel und wir legen ihn aufs
Fensterbrett. Einen Zuckerwürfel dazu und schon wird er von der
Engleinpost abgeholt.“ „Zuckerwürfel? Wozu das denn?“ Noch so
etwas Seltsames, von dem er nichts wusste. „Englein sind
Schleckermäulchen, genau wie du und finden sowas sofort und wenn
dann der Brief darunter liegt, kannst du auch sicher sein, dass er
gefunden wird.“ Diese Botschaft verstand er sehr gut und wollte
wissen, ob er den Brief in Deutsch schreiben müsse oder ob die
Englein Dänisch können. „Im Himmel wird schon einer sein, der
Dänisch lesen kann, “ meinte Oma und legte ein Buch mit einem
bunten Einband auf den Tisch. Ein Mann war darauf abgebildet, in
seltsamer Kleidung und er trug einen Sack, aus dem Geschenke hervor
schauten. „Ist das mein Buch? Das von den Englein? Wer ist der Mann
und wann liest du es mir vor?“ So viele Fragen auf einmal hatte er
noch nie gestellt. Oma schüttelte den Kopf und überlegte, was sie
zuerst beantworten solle.
„Also gut“, erklärte sie schmunzelnd: „ Ja, das ist die große
Ausgabe des Buches und der Mann auf dem Einband ist der heilige
Nikolaus mit dem Gabensack, den er zu den Kindern bringt. Und
vorlesen werde ich dir die Geschichte heute Abend, wenn ich alles für
morgen vorbereitet habe.“ „Für morgen?“ wollte Ole wissen. „
Ja, genau! Morgen ist der Namenstag des heiligen Nikolaus und den
verbringt er damit, die Kinder zu besuchen und ihnen kleine Geschenke
zu bringen. Ich möchte, dass er sich wohlfühlt wenn er kommt und
muss noch einiges vorbereiten dafür.“ „Aber Oma, hier wohnen
doch keine Kinder mehr! Was will er denn bei uns?“ Ole kratzte sich
wieder einmal in seinem wirren Haar und rieb sich dann den Bauch. Das
macht er immer, wenn er ratlos und aufgeregt ist. Oma lachte schallend: „Und was bist du? Du Naseweis bist doch
mein Ersatzenkel, wenn unsere Enkel nicht hier sind. Unsinn im Kopf
hast du für drei. Außerdem kommen genau die auch zu uns, damit der
Nikolaus nicht in so viele einzelne Häuser muss. Das war hier in der
Eifel schon immer so. Alle kommen bei den Großeltern zusammen und
warten dort auf ihn.“ Ole freute sich sehr. Er hatte die Beiden
schon seit der Sache mit dem Kekse backen nicht mehr gesehen und ihm
war ein wenig langweilig. Das würden die Zwei zu ändern wissen,
dessen war er sicher. Oma begann geschäftig im Haus hin und her zu
laufen. Sie schleppte Stühle ins Wohnzimmer, stellte Kerzen auf und
murmelte ein ums andere Mal: „Irgendwas habe ich vergessen, aber
was nur?“ Ole aber legte sich ein wenig auf sein Sofa und war
irgendwann eingeschlafen. Auch das Geschiebe der Stühle um ihn herum
konnte ihn nicht aufwecken. Draußen war es schon dunkel, als er
wieder aufwachte. Er rieb sich die Augen und tastete sich vorsichtig
zum Lichtschalter. Als es hell um ihn herum wurde, sah er die leere
Socke mit der Nummer fünf. „Die Geschichte! Oma! Hast du jetzt
Zeit zum Vorlesen?“ rief er in Richtung Küche. Von dort kamen
Geräusche, also musste sie ja da sein. „Gleich“, tönte es
zurück, „Ich muss nur noch den Braten in den Ofen schieben.“ Er
wartete also still in seiner Küche auf sie und als sie endlich kam,
eilte er auf sie zu. Sie trug ihn zu ihrem großen Sessel und schlug
das Buch auf. Dann las sie ihm vor, wie St. Nikolaus vor langer Zeit
als Bischof von Myra den Menschen dort oft geholfen hat, wenn sie
Sorgen und Nöte hatten. Einmal soll er sogar eine ganze
Schiffsladung Getreide an die hungernden Menschen verteilt haben. Ole
hörte ganz gebannt zu und vergaß sogar seine Fragen, die er sonst
immer stellte. Als Oma zu der Stelle kam, in der erzählt wurde, dass
er nun zur Erinnerung immer an seinem Namenstag auf die Erde kommt,
um die Kinder zu beschenken, nickte Ole nur zum Zeichen, dass er verstanden habe. Oma klappte das Buch zu und sagte: „Siehst
du, und genau das wird morgen passieren. Alle Kinder freuen sich
darauf und warten schon seit Tagen ungeduldig auf den sechsten
Dezember.“ Ob Ole wohl diese Nacht schlafen würde? Oma fürchtete
schon, dass er wohl heute Nacht wach liegen würde und dann morgen
nicht ausgeschlafen sei. Oder ob er lieber im Buch stöbern würde
und morgen wieder etwas vorgelesen bekommen wollte?
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