5.Dezember



Im Haus war es ungewöhnlich still, als Ole heute Morgen aufwachte. Kein Geklapper von Töpfen, kein Staubsauger und keine singende Oma störten die himmlische Ruhe im Haus. Hier stimmt etwas nicht, dachte er und hüpfte aus dem Bett. Wo Oma wohl steckt, überlegte er auf dem Weg ins Badezimmer. Er wusch sich in aller Seelenruhe und putze seine Zähne. Immer noch war nichts zu hören.


Naja, er konnte ja schon mal die Blume versorgen und seinen Strumpf Nummer fünf öffnen, bis Oma wieder da wäre. Gesagt- getan! Er füllte seinen Putzeimer mit Wasser und schleppte ihn zur Blumenvase im Wohnzimmer, natürlich nicht, ohne ein wenig zu kleckern. Er wischte schnell die Pfützen auf, bevor er die Blume goss und sie dabei genau betrachtete. „Nichts zu sehen, rein gar nichts. Nur braunes Holz. Ob das wirklich was wird?“ Murmelnd stieg er die Treppe hinauf und fand schließlich den richtigen Strumpf. Eine große weiße 5 mit ein wenig Glitzer klebte darauf und er fühlte sich seltsam leer an. „Seltsam! Ich habe doch gestern noch gefühlt, dass etwas Großes, Viereckiges drin war.“ Oweh, die Englein hatten doch nicht wegen seiner Neugierde das Geschenk wieder abgeholt? Die Schleife war schnell gelöst und ein Griff hinein brachte einen Zettel hervor. Er buchstabierte ganz
ohne Omas Hilfe die Nachricht, die darauf geschrieben stand:

Lieber Ole, heute bekommst du eine Geschichte geschenkt. Leider war unser Buch im Strumpf ein wenig zu klein für Omas Augen und sie ist nun unterwegs, um es sich als großes Buch zu besorgen. Wenn sie wieder da ist, wird sie dir unser Geschenk vorlesen. Wir entschuldigen uns für unsere Schusseligkeit.

Die Weihnachtsenglein.


So also war das! Oma war in die Buchhandlung und die Englein hatten das Buch wohl wieder mitgenommen. Schade, ein schönes Buch hätte doch prima ausgesehen in seinem Regal im Wohnzimmer und vielleicht würde er ja im nächsten Advent schon besser Deutsch lesen können.
„Ob man das den Englein irgendwie mitteilen kann?“ dachte er und nahm sich vor, Oma zu fragen, wenn sie zurück war. Genau in diesem Augenblick hörte er den Schlüssel in der Haustüre quietschen und machte sich sofort auf den Weg in den Flur. „Wartest du schon auf mich?“ fragte Oma, die vollgepackt mit Tüten herein kam. „Ich war noch schnell beim Bäcker, beim Metzger und im Buchladen. Aber jetzt können wir frühstücken, wenn du möchtest.“ „Ich hatte noch keine Zeit über Frühstück nachzudenken, “ antwortet Ole und erzählte dann, wie er den Vormittag zugebracht hatte. Oma verstaute dabei ihre Einkäufe und deckte den Tisch. Als Ole beim verschwundenen Buch angekommen war und bei der Frage, wie er dieses denn nun doch noch bekommen könne, lachte Oma ein wenig und meinte: „Nichts leichter als das, lieber Ole! Du schreibst einen Wunschzettel und wir legen ihn aufs Fensterbrett. Einen Zuckerwürfel dazu und schon wird er von der Engleinpost abgeholt.“ „Zuckerwürfel? Wozu das denn?“ Noch so etwas Seltsames, von dem er nichts wusste. „Englein sind Schleckermäulchen, genau wie du und finden sowas sofort und wenn dann der Brief darunter liegt, kannst du auch sicher sein, dass er gefunden wird.“ Diese Botschaft verstand er sehr gut und wollte wissen, ob er den Brief in Deutsch schreiben müsse oder ob die Englein Dänisch können. „Im Himmel wird schon einer sein, der Dänisch lesen kann, “ meinte Oma und legte ein Buch mit einem bunten Einband auf den Tisch. Ein Mann war darauf abgebildet, in seltsamer Kleidung und er trug einen Sack, aus dem Geschenke hervor schauten. „Ist das mein Buch? Das von den Englein? Wer ist der Mann und wann liest du es mir vor?“ So viele Fragen auf einmal hatte er noch nie gestellt. Oma schüttelte den Kopf und überlegte, was sie zuerst beantworten solle.
„Also gut“, erklärte sie schmunzelnd: „ Ja, das ist die große Ausgabe des Buches und der Mann auf dem Einband ist der heilige Nikolaus mit dem Gabensack, den er zu den Kindern bringt. Und vorlesen werde ich dir die Geschichte heute Abend, wenn ich alles für morgen vorbereitet habe.“ „Für morgen?“ wollte Ole wissen. „ Ja, genau! Morgen ist der Namenstag des heiligen Nikolaus und den verbringt er damit, die Kinder zu besuchen und ihnen kleine Geschenke zu bringen. Ich möchte, dass er sich wohlfühlt wenn er kommt und muss noch einiges vorbereiten dafür.“ „Aber Oma, hier wohnen doch keine Kinder mehr! Was will er denn bei uns?“ Ole kratzte sich wieder einmal in seinem wirren Haar und rieb sich dann den Bauch. Das macht er immer, wenn er ratlos und aufgeregt ist. Oma lachte schallend: „Und was bist du? Du Naseweis bist doch mein Ersatzenkel, wenn unsere Enkel nicht hier sind. Unsinn im Kopf hast du für drei. Außerdem kommen genau die auch zu uns, damit der Nikolaus nicht in so viele einzelne Häuser muss. Das war hier in der Eifel schon immer so. Alle kommen bei den Großeltern zusammen und warten dort auf ihn.“ Ole freute sich sehr. Er hatte die Beiden schon seit der Sache mit dem Kekse backen nicht mehr gesehen und ihm war ein wenig langweilig. Das würden die Zwei zu ändern wissen, dessen war er sicher. Oma begann geschäftig im Haus hin und her zu laufen. Sie schleppte Stühle ins Wohnzimmer, stellte Kerzen auf und murmelte ein ums andere Mal: „Irgendwas habe ich vergessen, aber was nur?“ Ole aber legte sich ein wenig auf sein Sofa und war irgendwann eingeschlafen. Auch das Geschiebe der Stühle um ihn herum konnte ihn nicht aufwecken. Draußen war es schon dunkel, als er wieder aufwachte. Er rieb sich die Augen und tastete sich vorsichtig zum Lichtschalter. Als es hell um ihn herum wurde, sah er die leere Socke mit der Nummer fünf. „Die Geschichte! Oma! Hast du jetzt Zeit zum Vorlesen?“ rief er in Richtung Küche. Von dort kamen Geräusche, also musste sie ja da sein. „Gleich“, tönte es zurück, „Ich muss nur noch den Braten in den Ofen schieben.“ Er wartete also still in seiner Küche auf sie und als sie endlich kam, eilte er auf sie zu. Sie trug ihn zu ihrem großen Sessel und schlug das Buch auf. Dann las sie ihm vor, wie St. Nikolaus vor langer Zeit als Bischof von Myra den Menschen dort oft geholfen hat, wenn sie Sorgen und Nöte hatten. Einmal soll er sogar eine ganze Schiffsladung Getreide an die hungernden Menschen verteilt haben. Ole hörte ganz gebannt zu und vergaß sogar seine Fragen, die er sonst immer stellte. Als Oma zu der Stelle kam, in der erzählt wurde, dass er nun zur Erinnerung immer an seinem Namenstag auf die Erde kommt, um die Kinder zu beschenken, nickte Ole nur zum Zeichen, dass er verstanden habe. Oma klappte das Buch zu und sagte: „Siehst du, und genau das wird morgen passieren. Alle Kinder freuen sich darauf und warten schon seit Tagen ungeduldig auf den sechsten Dezember.“ Ob Ole wohl diese Nacht schlafen würde? Oma fürchtete schon, dass er wohl heute Nacht wach liegen würde und dann morgen nicht ausgeschlafen sei. Oder ob er lieber im Buch stöbern würde und morgen wieder etwas vorgelesen bekommen wollte?

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