4.Dezember
Ole fuhr wie von der Tarantel gestochen aus dem Bett. Er hatte
verschlafen. Und das am Barbaratag, den Oma doch für so besonders
hielt. Ach ja! Er hatte doch seine Holzschuhe geputzt. Blitzblank
waren sie und fast wie neu. Nichts mehr zu sehen von Gartenarbeit mit
Opa oder Herumgehüpfe in Herbstpfützen. Ob sie noch da sind, dachte
er. Oder haben diese Englein, die auch die Plätzchen einkassiert
haben, nun auch noch meine Schuhe mitgenommen, um irgendwelche
seltsamen Dinge damit zu tun. Er warf die Bettdecke zurück und
schwang die Beine aus dem Bett. Auf dem Weg nach unten merkte er sich
schon einmal die Stufe, wo er nachher Strumpf Nummer 4 finden würde
und konnte es kaum erwarten, zu erfahren, was mit seinen Schuhen
geschehen war. Unten an der Treppe standen seine Holzschuhe noch
genau dort, wo er sie abgestellt hatte. Doch was war das? Im linken
Schuh steckte ein ganzer Weihnachtskeks, halb mit Schokolade verziert
und im rechten eine Rolle Geschenkpapier. Jedenfalls sah es aus wie
eine. Er nahm die Rolle in die Hand und dabei fielen ihm daraus
kleine Blaue Kugeln entgegen, ungefähr erbsengroß. Die Rolle verlor
ihr Bändchen, mit dem sie zusammengehalten war und sprang auf. Da
stand etwas geschrieben. Da er aber nun mal Däne von Geburt ist,
fällt es ihm schwer, die deutsche Schrift zu lesen. L i e b e r O l
e
…..buchstabierte er und gab auf. Laut: „Oma, Oma!“ rufend stand
er in seinem Flur und wartete auf Hilfe. In der Küche ließ Oma vor
Schreck ihre Zeitung fallen und stürzte ins Wohnzimmer. „Was ist
passiert? bist du verletzt?“ rief sie schon von der Türe her und
war im Nu am Puppenhaus angekommen. Ole stand verlegen da und hielt
ihr die Rolle entgegen: „Ich kann das nicht lesen. Das ist in
Deutsch geschrieben und ich war doch in Dänemark in der
Moosbeerenschule.“
Sie setzte ihre Brille auf und griff nach der winzigen Rolle Papier.
Blinzelnd versuchte sie, die winzigen Buchstaben zu lesen, aber es
gelang ihr nicht. „Verflixt, ich kann es auch nicht lesen, ich
brauche eine Lupe“, murmelnd und kopfschüttelnd kramte sie in
ihrem Bastelschrank herum und hielt nach kurzer Zeit eine große Lupe
in der Hand.
„Damit sollte es gehen.“ freute sie sich. Schnell war die Rolle
wieder ausgebreitet und dann hielt sie die Lupe genau darüber.
„ Soso, aha, hmmmm, naja….“ Ole platzte fast vor lauter
Neugierde und als er es nicht mehr aushielt, rief er ungeduldig:
„ Na, und was steht da nun? Sag schon!“
„Huch”, meinte Oma, “ich hab ganz vergessen, dass es dein Brief
ist und nicht meiner. Als ich noch klein war, waren diese Briefe
immer an mich gerichtet. Entschuldige bitte. Komm ich lese laut vor.“
Lieber Ole Nisser aus Dänemark
ich hoffe, dir gefällt es in der Eifel gut. Zu meinem Namenstag
möchte ich dir heute eine Blume schenken. Sie wird genau am
Weihnachtsabend blühen, wenn du sie gut pflegst und nicht neben den
Ofen stellst. Deine Hausmutter wird dir zeigen, wo du sie finden
kannst, sie passte nicht in deinen Schuh. Einen schönen Advent
wünscht dir die heilige Barbara mit ihren Gehilfen, den Englein aus
dem Weihnachtshimmel. Ole war sehr still. Ihm fehlten die Worte.
Einen Brief von einer Heiligen hatte noch nie jemand aus
seiner Familie bekommen. Naja, Nisser sind ja auch nicht katholisch,
aber beeindruckt war er schon ein wenig. Und das sagte er dann auch:
„Cool, ich hab Post aus dem Himmel! Man stelle sich das einmal vor:
Ich, Ole Nisser aus Holmsland-Klit in Dänemark, Einwanderer in die
Eifel, bekomme solche Post. Woher die nur meine Adresse haben?“ Oma
schmunzelte: „ Hast du schon vergessen, wer dir den Adventskalender
mit den Strümpfen gebracht hat? Die Englein fliegen das ganze Jahr
umher und schauen durch die Fenster in jedes Haus. Wenn jemand
umzieht, dann wissen sie es sofort und auch, wenn jemand Dinge tut,
die sich nicht gehören. Alles wird in ein dickes goldenes Buch
geschrieben und St. Nikolaus vorgelegt bevor das Christkind am
heiligen Abend auf die Erde kommt, um die Menschen zu
beschenken.“„Ach du liebes Lieschen, “ entfuhr es Ole, „die
sehen alles?“ „Auch wenn ich Zucker stibitze? Oder an Opas
Bierchen nippe, wenn er nicht hinsieht?“ Wenn er nicht schon von
Geburt an grün gewesen wäre, dann hätte man jetzt sehen können,
wie ihm sein heimliches Sündenregister eine leicht grünliche Farbe
verpasste. Ja, Nisser werden grün, wenn sie sich schämen. Oma sagte
nichts dazu und nickte bedeutsam. „Lass uns frühstücken gehen, du
bist sowieso schon spät dran. Ich habe vor lauter Hunger schon mal
angefangen.“ Sie trug ihn in die Küche auf seinen angestammten
Platz und beide aßen schweigend ihr Brot auf. Ole musste nachdenken
und Oma beobachtete ihn dabei.
„Aber wenn die Englein so streng sind, warum bekomme ich dann diese
Wunderblume? Hab ich die denn verdient?“ Ihre Antwort konnte ihn
nun so gar nicht beruhigen. „Die Pflege dieser Blume ist eine
Aufgabe, die du bis Weihnachten sehr gewissenhaft erledigen musst.
Wenn sie vertrocknet oder eingeht, dann sehen die Englein daran, dass
du schludrig warst dabei. Blüht sie aber an Weihnachten, dann hast
du alles richtig gemacht und dir dein Geschenk vom Christkind
redlich verdient.“Er sprang
vom Stuhl und rief: „ Ich bin fertig, komm lass uns endlich die
Blume holen, damit ich anfangen kann mit richtig machen!“
„Dann komm, du Zappelphillipp, lass uns in den Garten gehen und
Barbarazweige schneiden.“ In Omas Schürzentasche ging es hinaus in
den Obstgarten und dort schnitten sie einige Zweige vom Kirschbaum
ab.
„Wie jetzt? Diese toten braunen Äste sollen eine Blume wachsen
lassen?“ Das war zu viel für ihn. Er glaubte der Oma und der
Barbara kein Wort. „Äste gehören in den Ofen, wie es für Nisser
schon immer richtig ist“, grummelte er und schüttelte ein ums
andere Mal den Kopf. „Abwarten und Tee trinken“, lachte Oma und
trug ihn mit den Ästen ins Haus. Sie stellte einige davon in eine
Vase auf ihrem Küchentisch und schnitt ein paar Kleinere ab um sie
in ein Teeglas zu stellen.
Das trug sie dann in Oles Wohnzimmer und meinte: „Denk daran, die
brauchen jeden Tag einen Putzeimer voll Wasser, sonst gibt es keine
Blüten. Und mindestens einmal in der Woche ganz neues Waser ins Glas
und immer schön das Glas sauber machen. Soll ich dir das
aufschreiben?“Er schaute sie entsetzt an und rief: „Oma, ich kann
das doch nicht lesen! Sag mir bitte Bescheid, wenn ich was machen
muss. Oder ich schau einfach, wie du es machst. Hat ja beim Backen
auch schon geklappt und beim Putzen.“Er würde das schon schaffen.
Sein heimlicher Weihnachtswunsch musste einfach in Erfüllung
gehen! Wenn er nur wüsste, wie die Englein davon erfahren könnten.
Darüber musste er wohl noch einmal gründlich nachdenken, dachte er
bei sich und sank auf sein Sofa. Dann sprang er wieder auf und rannte
in den Flur zur Treppe. Welche Stufe war es doch gleich noch einmal,
an der die Nummer vier hing? Ach, da hing ja der richtige Strumpf!
Schleife lösen und hineingreifen waren eins und schon hielt er einen
wunderbaren bunten Schal in der Hand. Genau richtig für einen Nisser
wie ihn. Er legte ihn um seinen Hals und kuschelte sich hinein. Dann
plumpste er wieder auf sein Sofa und im gleichen Augenblick war er
auch schon eingeschlafen und träumte von einer riesigen Blume, die
sein ganzes Treppenhaus versperrte.
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