19.Dezember
Emilia und Leo hatten heute Morgen bei Frühstück verkündet, sie
seien eingeladen worden zum Adventskaffee bei Verwandten am anderen
Ende des Dorfes. Beinahe wäre das untergegangen im Umzugsstress,
aber Emilia hatte im letzten Moment in den Kalender geschaut und
erschrocken festgestellt, dass die Einladung ja für heute war. Sie
saß am Tisch und schaute ein wenig skeptisch aus dem Fenster. Es
regnete Bindfäden und bei dem Gedanken an den langen Fußweg dort
hin verging ihr ein wenig die Lust darauf. Das sagte sie dann auch zu
Leo und der nickte, nach einem Blick nach draußen, zustimmend. „Wird
ne feuchte Reise werden“, murmelte er lustlos. Ole schaute von
seinem Kaffee auf und teilte ganz beiläufig mit: „Ihr könnt doch
mit meinem Bus fahren, wenn ihr möchtet. Oder hat keiner von euch
einen Führerschein?“ Verdutzt sahen sie ihn an: „Du hast einen
Bus?“ „Ja, klar habe ich einen. Wie sonst sollte ich von Dänemark
in die Eifel gereist sein? Mein Cabriolet oder mein Motorrad sind ja
bei dem Wetter momentan eher ungeeignet, sonst hätte ich euch die
angeboten.“ Leo staunte mit offenem Mund. Emilia hatte sich
schneller gefangen und wollte sofort wissen, ob Ole im Lotto gewonnen
habe. Ole kicherte: „ Nee, die Oma und der Opa haben Flohmärkte
leergekauft, als ich eingezogen bin. Sie waren der Meinung, ich solle
ab und zu mal alleine was unternehmen können.“ Er machte sich auf
die Socken und kurz darauf tuckerte ein VW-Bus in die Küche. „Hier
ist das gute Stück! Dürft ihr gerne benutzen, wenn ihr möchtet.
Leo kletterte von Omas Küchentisch herunter und bestaunte das
Vehikel von allen Seiten. Ole erklärte ihm alle Knöpfe und als Leo
eine kleine Probefahrt durch den Flur hinter sich gebracht hatte, war
klar, dass er und Emilia mit dem Bus verreisen würden. Sie bedankten
sich und Emilia verschwand in ihrer Küche, um noch rasch ein paar Plätzchen zu backen für die
Verwandten. Leo übte Einparken mit dem Bus und Ole langweilte sich
ein wenig. Aber nur, bis die Türglocke läutete. Oma öffnete und
draußen stand die Postbotin mit einem Päckchen in der Hand.
„Entschuldigen sie Frau Oma, ich habe hier ein Paket für einen
Herrn Ole Nisser. Wohnt der hier irgendwo? Der Name steht nicht am
Briefkasten.“ Oma nickte und quittierte den Empfang. Post für Ole?
„Sehr seltsam“, murmelte sie. „Für mich? Oma, ist das für
mich?“ Ole hüpfte aufgeregt um Oma herum und konnte seine Neugier
kaum zügeln. „Ja, für dich! Ohne Absender, aber eindeutig unsere
Adresse. keine Ahnung, was das ist.“ Sie ging zurück in die Küche
und legte das Päckchen auf den Tisch.
Dann musste sie laut lachen. So schnell wie heute hatte Ole den Weg
aus dem Flur bis auf den Küchentisch noch nie zurückgelegt. Man
hätte meinen können, er habe Flügel. Er tanzte um das Päckchen
herum und untersuchte es von allen Seiten. Es roch ein wenig
wunderlich und Oma erklärte ihm, dass dies wohl die Druckerschwärze
sei, die auf dem Etikett verwendet wurde. Ungeduldig zerrte und
zupfte Ole daran herum bis er schließlich bat: „Oma, hilf mir doch
bitte, es geht nicht auf.“ Gemeinsam öffneten sie die Verpackung
und bestaunten den Inhalt. Eine Grußkarte und eine Tafel Schokolade.
Oma las die Karte und wollte dann von Ole wissen, wer um Himmels
willen denn Lili sei, dass sie ihm beim Christkind Schokolade
bestellt habe. „Öhm……,muss ich das sagen?“ Er war sichtlich
verlegen und wollte sich um eine Antwort drücken. Aber da war er bei
Oma an der falschen Adresse. Ein strenger Blick von ihr und er rückte
heraus mit der Sprache. „Lili ist eine wunderschöne, blonde
Schwedin, die wohnt jetzt in der Voreifel und ich habe sie auf der
Reise zu dir kennen gelernt. Ab und an schreibe ich mit ihr übers
Internet, wenn du den Computer angelassen hast und nicht da bist.“
Oma hatte sichtlich Mühe, ernst zu bleiben. „ So,so! Eine blonde
Schwedin also! Da wirst du ihr ja wohl auch eine Weihnachtskarte
schicken müssen. Bloß wie nur ohne Adresse?“ „ Ach Oma, die hab
ich doch! Aber keine Weihnachtskarte und ein Geschenk habe ich auch
nicht für sie.“ Oma dachte kurz nach und lief anschließend ins
Badezimmer. Sie kam mit einer Miniflasche Parfüm zurück und reichte
sie ihm mit den Worten: „ Reicht dir eine Magnumflasche Eau de
Toilette? Die würde ich dir überlassen und dir auch beim Verpacken
helfen.“ Ole rieb sich das Kinn.
„Parfüm zu Weihnachten? Sieht das nicht nach in letzter Minute
besorgt aus? Zugegeben, ich hab sie vergessen, als ich mich um die
Geschenke für euch gekümmert habe, aber Parfüm? Wirklich? Sie hat
mir doch auch keine Socken geschenkt.“ Oma lachte schallend und zeigte dann auf sein Auto im Flur. „ Dann
wirst du wohl selber noch mal in die Stadt müssen, wenn es aufhört
zu regnen. Den Bus hast du ja Leo und Emilia geliehen.“ Ole seufzte
und sah aus dem Fenster. Regen, nichts als Regen. Das konnte ja
heiter werden. Vorsorglich holte er Mütze, Schal und Handschuhe
herbei, legte sie griffbereit auf den kleinen Tisch und setzte sich
dann auf den Schuh des Nikolaus in Omas Küchenfenster. Trübsinnig
starrte er in den Regen und malte sich aus, wie er nass wie ein
begossener Pudel vom Einkauf zurück kommen würde.
Er schaute Leo und Emilia nach, wie sie mit dem Bus dem Regen
trotzten und trommelte mit den Fingern gegen die Fensterscheibe, als
ob er damit den Regen verscheuchen könnte. Kurz vor halb Fünf
endlich fiel der letzte Tropfen und Oma beeilte sich, ihn mit seinem
Auto nach draußen zu tragen. Er brauste die Straße hinunter und war
schon um die Ecke verschwunden, bevor Oma auch nur die Haustüre
hinter sich geschlossen hatte.
Stunden später hörte sie ein dünnes Hupen vor dem Haus und beeilte
sich, einen durchgefrorenen Ole mitsamt seinem Auto ins warme Haus
zu tragen. Er bibberte am ganzen Körper und schwor, er werde nie
wieder im Winter Cabrio fahren. Trotzdem zeigte er stolz seine
Einkäufe vor. Eine wunderschöne Keksdose für Emilia, eine
Deko-Laterne für Lili und massenhaft Geschenkpapier zum Verpacken.
Auch für Leo hatte er etwas erstanden: Einen Sixpack Bier. „wie es
sich für richtige Männer gehört“, grinste er und versteckte
seine Einkäufe in seiner Vorratskammer. Danach fiel er todmüde in sein Bett und hatte wieder einmal
vergessen, seinen Adventskalender zu öffnen.
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