18.Dezember
Gestern am späten Abend war Oma endlich eingefallen, was sie
Wichtiges vergessen hatte. Der Weihnachtsbaum! Normalerweise stand
der eine Woche vor Heiligabend schon fertig im Ständer, damit die
Äste sich wieder gerade biegen konnten, nachdem das Netz vom
Transport entfernt war. Opa hatte sie ganz entsetzt angeschaut und
beschlossen, das dieses Jahr endlich wieder ein ganz frisch
geschlagener Baum her sollte, ganz so wie früher. Direkt aus dem
Wald. Ole meinte, dann könne man ja zu Irmintrude fahren und dort
einen Baum schlagen, aber Opa erklärte ihm, das dort
Trollschutzgebiet sei. Die Natur dort solle nicht verändert werden.
Aber es gibt ja Waldstücke, wo der Förster Bäume angepflanzt hat,
die extra dafür gewachsen sind. So wurde also beschlossen, dass man
am Wochenende einen Ausflug in den Wald machen wolle, um einen Baum
zu besorgen. Leo und Emilia baten darum, auch mitgenommen zu werden.
Auch sie brauchten schließlich ein Bäumchen für ihr neues
Zuhause. Emilia tuschelte etwas mit Oma und Opa lauschte vergeblich,
um herauszufinden welches Geheimnis die beiden hüteten. Oma nickte
und verkündete anschließend den Tagesplan für den morgigen Tag,
also für heute. Da Opa leider noch keinen Urlaub hatte und somit
nicht zur Verfügung stand, verteilte sie die Aufgaben auf sich und
die Trolle. Leo sollte gemeinsam mit Ole alle Krippenfiguren
abstauben und auf Schäden untersuchen. Sie selbst wollte mit Emilia
derweil in der Küche werkeln. Was genau sie dort tun wollten, wurde
nicht verraten. Alle waren sie also heute Morgen sehr früh
aufgestanden und hatten rasch gemeinsam gefrühstückt. Dann holte
Oma die Schachtel mit den Krippenfiguren vom Dachboden herunter und
stellte sie im Wohnzimmer auf den Fußboden. Gar nicht so einfach,
solche Figuren aus ihrem Papier zu wickeln, wenn sie fast so groß
sind wie man selber. Die beiden hatten einige Mühe damit und beim Kamel gaben sie
auf und riefen nach Oma. Natürlich putzte die rasch ihre Hände an
der Schürze sauber und eilte zu Hilfe. Vorsichtig wickelte sie das
Kamel aus seiner Verpackung und stellte es zu den übrigen Figuren.
Ole bat sie dann auch gleich, Ochse und Esel von ihrer Umhüllung zu
befreien. „Weißt du Oma, auch wenn wir zwei die Buchstaben für
den lateinischen Löwen im Namen haben und stark sind, so ein
ausgewachsenes Rind können zwei starke Männer nicht heben.“ Das
verstand Oma sofort und kam der Bitte nach. „ Braucht ihr mich noch
oder kann ich weiterarbeiten gehen?“ Sie schien ein wenig in Eile
zu sein und so schüttelten die zwei Trolle den Kopf und riefen:
„Nee, nee, jetzt kommen wir alleine zurecht.“ Oma eilte also
wieder in die Küche zu Emilia und die beiden Herren wandten sich
einer sehr interessanten Schachtel zu, die ganz unten im Karton
gelegen hatte. Leo zog eine rostige Milchkanne daraus hervor und Ole
hatte eine glänzende Sense entdeckt. „So eine hat der Opa in groß.
Sehr gefährlich für Trolle, hat er mir gesagt. Besonders für grüne
Trolle im hohen Gras.“ Leo nahm ihm die Sense weg und prüfte die
Schneide sehr geübt mit seinem Daumen. „Stumpf, die taugt nichts!“
Enttäuscht reichte er sie zurück an Ole und griff erneut in die
Schachtel. „Hilf mir bitte einmal, Ole! Dieser Amboss hier ist
schwer wie Blei. Ich kann ihn nicht herausheben.“ Mit vereinten
Kräften und viel „Hau-Ruck“ und Gestöhne schafften sie es aber
nach mehreren Anläufen doch und vor ihnen stand ein echter Amboss in
Trollgröße.
Sie sahen sich an und man konnte sehen wie es in ihren Köpfen
arbeitete. Der war doch wirklich zu schade, um das ganze Jahr auf dem
Dachboden in einer Kiste zu liegen. Man könnte ja mit Opas Hilfe
eine Schmiede einrichten, wenn er den Amboss nicht wieder auf den
Dachboden schaffen würde nach Weihnachten. Sie redeten eine Weile
darüber, was sie damit alles machen könnten, bis Ole plötzlich
sagte: „Komm, lass uns weitermachen, Oma will bestimmt nachher noch
was anderes erledigen und wenn wir dann noch nicht fertig sind, dann
wird sie sicher böse.“
Sie förderten noch so einiges zu Tage, was für Trolle brauchbar
erschien und stellten alles fein säuberlich nebeneinander auf. Es
sah ein wenig aus wie im Kaufhaus für Trolle und sie mussten beide
lachen. In der Küche hörten sie indessen ein solches Geraschel und
Geknistere, dass es die beiden fürchterlich neugierig machte. Sie
schlichen sich auf leisen Sohlen Richtung Küche. Was war das denn? Da war
plötzlich eine Türe und die war zu. Keine Ritze und kein Spalt, um
doch noch hinein zu kommen. Ole stand wie vom Donner gerührt da und
konnte nicht glauben, was er sah. Eine echte Türe verschloss Omas
Küche. Wo die nur her kam? Leo zuckte mit den Schultern: „ Machen
wir Eifler so. Im Sommer braucht man keine Tür in der Küche. Die
stört nur, wenn man Obst und Gemüse zum Verarbeiten reinschleppen
muss. Aber im Winter sind sie prima. Man heizt die Küche und die
Wärme bleibt drin, wenn eine Türe vorhanden ist. Wer braucht schon
einen warmen Flur?“ „Verstehe ich, aber hat Oma die Tür da
wirklich selber eingebaut? Opa ist doch arbeiten und beim Frühstück
war sie noch nicht da!“ Er klopfte wie wild auf das Holz und
horchte, ob Oma ihn gehört hatte. Drinnen in der Küche hörte man
Geflüster und eiliges Hin-und Hergelaufe. Endlich kamen Schritte und
die beiden Neugiernasen huschten sofort durch den Türspalt, den Oma
gerade geöffnet hatte. Oma erwischte sie gerade noch so bevor sie
ganz an ihr vorbei gelaufen waren und verdeckte ihnen in voller
Breite den Blick auf den Küchentisch. „Hallo meine Herren, wohin
so eilig? Hier gibt es nix zu sehen für euch und wenn, dann geht es
euch nix an. Raus mit euch. Habt ihr nichts zu tun? Dem kann ich
abhelfen. Emilia hätte gerne eine Schubkarre Brennholz, ihr war kalt
heute Nacht, weil das Feuer ausgegangen ist. Ole, du weißt ja, wo
alles ist. Und nun raus mit euch, wir können euch hier nicht
gebrauchen.“ Sie schubste die beiden durch den Türspalt wieder
hinaus in den Flur. Klapp! machte es und die Tür fiel wieder ins
Schloss. Ole murrte: „ Feuerholz! Wenn ich das schon höre. Draußen
stürmt es wie verrückt und in Omas Holzschublade unterm Herd liegen
garantiert zwei Schubkarren voll Rindenstückchen und Späne. Die
braucht kein Feuerholz. Die will uns nicht dabei haben.“ Leo hielt
sich den Bauch vor lauter Lachen über Oles Entrüstung. „Nun
ärgere dich doch nicht darüber. Ich weiß genau, was sie da tun! Die
verpacken Weihnachtsge - schenke für uns Männer. Das Christkind
kommt doch nur zu den Kindern!“ „Ach ja? Und wer hat die
Weingläser für euch passend in meinen Adventskalender getan? Oh
nein mein Lieber! Wenn die Oma sagt, das Christkind bringt mir ein
Geschenk, dann ist das so!“ Sprachs, schnappte sich seine
Schubkarre und stapfte zur Hintertüre hinaus.
„Ist ja schon gut, ich komme mit!“ Leo eilte hinter ihm her zum
Holzschuppen half ihm, die Karre zu füllen. Sie gerieten ordentlich
ins Schwitzen und Ole meinte: „ So kalt wie ich dachte, ist es
eigentlich gar nicht.“ Leo hielt sich den Bauch vor lauter Lachen:
„ Oh ja, das hat mein Vater schon immer gesagt: Holz muss dreimal
wärmen. einmal beim schlagen im Wald, dann beim Stapeln und dann
noch mal im Ofen.“ „Da hat dein Vater was sehr Kluges gesagt!
Einen ähnlichen Spruch haben wir in Dänemark auch. Aber den würdest
du ja nicht verstehen, wenn ich ihn jetzt sage.“ Sie schoben die
Schubkarre ins Haus und gemeinsam schafften sie es sogar, die schwere
Eichentüre zum Hof wieder zu schließen.
Als sie mit der schweren Schubkarre im Flur angelangten, hatten sie
freien Blick in die Küche. Die Türe stand offen und nichts war
anders als sonst. Oma und Emilia saßen mit einer Tasse Tee gemütlich
beisammen und grinsten sie an. „Hier ist dein doofes Holz, Emilia!
Kriegen wir auch einen Tee?“ Oles
vorlaute Bemerkung ließ Oma die Brauen hochziehen. „Das muss ich
mir aber noch überlegen, ob du einen bekommst, Ole! Dieser Ton ist
unfein, sowas mag ich nicht in meinem Haus!“ Kleinlaut
entschuldigte sich Ole und als Oma zum Herd ging, um neuen Tee zu
kochen, drehte er sich um zwinkerte Leo zu: „ Und das Holz ist doch
doof! Eine faule Ausrede wars um uns loszuwerden!“ Das hatte Oma
gehört! Sie drehte sich um und schaute Ole tadelnd an: „ Junger
Mann, wenn ich meine Küche für mich alleine haben will, dann ist
das meine Entscheidung, hörst du. Es ist Weihnachtszeit und die ist
voller Geheimnisse! In der Eifel haben wir ein besonders Wort fürs
spionieren im Advent: Spinksen nennt man es, wenn jemand Geheimnisse
belauschen und erschnüffeln will. Wer sowas tut, bekommt keine Fäden
fürs Krippchen und außerdem verschwinden alle erspinksten Geschenke
und Geheimnisse auf Nimmerwiedersehen!“ Ole war recht kleinlaut
und schlich still auf seinen Platz. Woher sollte er denn das alles
wissen? Ob er Oma trotzdem fragen sollte? …… Zaghaft schaute er
Oma an: „ Tut mir leid Omilein. Konnte ich doch nicht wissen, wie
ihr das hier macht in der Eifel. ich wollte dich aber mal fragen….“
Er zögerte ein wenig. Oma sah ihn fragend an. „Ja?“ „Naja
wegen der Fäden…. ich hab schon so lange keine mehr bekommen und
bald braucht das Christkind sie doch.“ „Dieser Filou!“ murmelte
Oma und holte die Schachtel herbei. Sie reichte Ole schmunzelnd ein
kleines Bündel:
„Hier für deine Umzugshilfe, gestern, fürs Teilen vom
Adventskalender, fürs Holz holen (hier zog sie ein wenig die Brauen
zusammen) und fürs Auspacken der Krippenfiguren auch noch einen.
Leo, ich nehme an, du bist schon zu erwachsen für sowas, oder?“
Leo zwinkerte ihr zu und lehnte dankend ab. Er schaute bedeutungsvoll
zum Papierkorb, in dem verdächtige Schnipsel bunten
Geschenkpapiers lagen und Oma beeilte sich, den Papierkorb zum
Mülleimer nachdraußen zu schaffen. „Mein
Adventskalender!“ rief Ole plötzlich und sauste wie der geölte
Blitz zu seinem Haus. Er fand die achtzehn und öffnete sie
geschwind. Noch eine dicke Kugel Schokolade! Na sowas! Er hatte doch
schon eine und die war noch nicht aufgegessen. Bestimmt sollten Leo
und Emilia auch eine haben.
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