17..Dezember
Spät war es geworden gestern Abend. Oma hatte bis weit nach
Mitternacht Gekicher und Gelächter gehört. Opa meinte nur:„ Die
Drei scheinen sich gut zu verstehen,“ und verschwand im
Schlafzimmer. Naturgemäß nach einer solch langen Nacht lagen die
Trolle noch im Tiefschlaf, als Oma heute Morgen aufgestanden war.
„Egal, der Tag ist trüb und regnerisch. Sollen sie ruhig
ausschlafen.“ Oma redete mal wieder mit sich selber, wie es oft
tat, wenn sie alleine war. Sie kochte sich einen Kaffee und vertiefte
sich in die Tageszeitung. Ein Artikel mit besonders schönen Bildern
von einem Weihnachtsmarkt zog ihren Blick auf sich. Irgendwie wurde
sie beim Lesen und Betrachten der Bilder das Gefühl nicht los, etwas
Wichtiges für Weihnachten vergessen zu haben. „Wird mir schon
wieder einfallen“, murmelte sie und faltete die Zeitung zusammen.
Sie ließ Abwaschwasser ins Becken und begann damit, das schmutzige
Geschirr von gestern zu spülen. Dieses Topfgeklapper war wohl ein
wenig zu laut und weckte Ole auf. Der rieb sich verschlafen die Augen
und schwang die Beine aus dem Bett mit den Worten: „ Wer feiern
kann, der kann auch arbeiten.“
Er flitzte ins Bad und nachdem er sich gewaschen hatte, suchte er auf
dem Weg nach unten den Strumpf des Tages. Dabei fiel ihm auf, dass der von gestern noch nicht geöffnet war. Hmmmm,
ob er ihn aufheben sollte für seine neuen Nachbarn? Er kicherte vor
sich hin: „ Hihi, ich mach den von gestern auf und überlasse den
von heute großzügig den Beiden.“ Er griff nach Nummer 16 und
löste die Schleife. Klein, kalt und hart fühlte es sich an im
Strumpf. „Aua!“ Irgendetwas hatte ihn in den Finger gestochen und
er zog schnell seine Hand wieder aus dem Strumpf hervor. Was da wohl
drin war? Hineingreifen mochte er nicht mehr. Zu gefährlich, wie er
fand. Aber er wäre ja kein Troll, wenn ihm da nicht die passende
Lösung eingefallen wäre. Kurzerhand drehte er den Strumpf um und
schüttelte ihn, bis der Inhalt scheppernd vor seine Füße fiel.
Eine kleine Schere! Gerade richtig für ihn.
Schnell hob er sie auf und brachte sie in seine Küche. Dann machte
er sich auf den Weg zu Oma und leistete ihr bei einer schönen Tasse
Kaffee und einem Marmeladenbrot ein wenig Gesellschaft. Es war schon
fast Mittag als Leo und Britta endlich auch auf der Bildfläche
erschienen.
„Na, gut geschlafen ihr zwei?“ Oma goss zwei weitere Tässchen
Kaffee ein und stellte sie auf den kleinen Tisch. „Und was ist mit
mir?“ Ole hielt ihr seine Tasse entgegen und grinste. Auch er bekam
eine weitere Tasse und eine muntere Unterhaltung begann. Ole
berichtete den Eifeltrollen von den dänischen Weihnachtstraditionen,
erklärte den Julklapp und schwärmte vom Juleaftenessen ( Heiligabend) Ribensteg mit Rotkohl und braunen Kartoffeln und zum Dessert
den bekannten Riis a la mange, in dem eine Mandel versteckt ist. Wer
die findet, bekommt ein kleines Zusatzgeschenk. Leo staunte über all
die unbekannten Dinge und meinte: „Bei uns gabs immer nur
Kartoffelsalat mit Würstchen. Kartoffel konnte ich immer im Garten
finden und die Würstchen hingen in der Vorratskammer. Hat nie einer
bemerkt, wenn da eins fehlte, weil unser Hausvater selber stibitzen
ging, wenn seine Frau nicht aufpasste.“ Oma musste lachen. „Wie
mein Vater früher. Wenn unser Schwein geschlachtet wurde und die
Würste fertig geräuchert waren, hingen sie ordentlich aufgereiht
auf einem Besenstiel quer über der Treppe ins Obergeschoss. Mein
Vater war groß genug, um auf dem Weg ins Bett schnell ein Stückchen
abzubeißen.“ Leo schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel.
„Dein Vater gefällt mir, den würde ich gerne mal kennen lernen.“
Oma lachte genau so laut wie alle anderen und als sie wieder zu Atem
gekommen war, verriet sie den Trollen, dass sie in den nächsten
Tagen sowieso einmal dort vorbeischauen wolle. Wer also mitkommen
wollte, musste nur bereit sein, sich mit den dortigen Haustrollen zu
vertragen. „Noch mehr von unserer Art?“ rief Ole begeistert aus
und Leo und Emilia meinten: „Wenns echte Eifeltrolle sind, dann ist
das doch kein Problem.“ „Abgemacht! Wir besuchen Uropa Leo und
Uroma Zissi und schauen mal, ob ihre Lovis schon ins Winterquartier
gezogen ist.“ Ole saß mit offenem Mund da und staunte. „Der
Uropa heißt auch Leo? Und wieso kommt mir der Name Lovis so bekannt
vor?“ „Leo ist lateinisch und heißt Löwe. So heißen alle
starken Männer in der Eifel. Du musst noch viel lernen über uns,
das sehe ich schon!“ meldete sich Emilia zu Wort. „Übrigens
haben da wohl die Dänen die Buchstaben ein wenig durcheinander
geworfen. Du solltest ja wohl auch Leo heißen, oder?“ „ Hmm, so
habe ich das noch nie gesehen, könnte aber stimmen.
Stark bin ich jedenfalls“, lachte Ole. „Aber mir fällt absolut
nicht ein, warum ich mir einbilde, den Namen Lovis schon mal gehört
zu haben.“ „Aber Ole, du kennst sie doch schon. Wir haben sie
doch in Irmintrudes Wäldchen getroffen. Hast du das schon
vergessen?“ Oma war ehrlich entsetzt über Oles Vergesslichkeit.
„Was? Die wohnt bei deinen Eltern? Und das sagst du mir erst jetzt?
Da habe ich nun schon so lange auf welche von meiner Art gewartet und
du hast sie mir verschwiegen.“ Er verschränkte demonstrativ seine
Arme und schmollte. „Ole, ich habe dir schon oft gesagt, dass meine
Oma und meine Mutter mir viel vom kleinem Volk erzählt haben und
fest an euch glaubten. Erstens hast du mir nicht gesagt, das du
einsam bist und zweitens wolltest du bisher nie mit, wenn wir sie
besucht haben.“ „Ja ja, schon gut“, murrte Ole und fragte dann:
„Was gibt es denn hier an Weihnachten Leckeres zu Essen?“ Oma
schmunzelte ein wenig: „ Überraschung! Wird nicht verraten.
Jedenfalls keinen Weihnachtskarpfen. Ich will meine Badewanne benutzen können und sie
nicht wochenlang vor Weihnachten mit einem Fisch teilen müssen.
Traditionelle Weihnachtsgans mag der Opa nicht, also gibt es was
Schwedisches. Mehr verrate ich nicht.“
„Internationale Weihnacht!“ rief Emilia und gleich darauf hüpfte
sie aufs Fensterbrett und sah nach draußen. Da oben im Baum gibt es
Misteln, die sind in England Tradition. Das weiß ich von meiner
Mutter, die war mal drüben als Austauschschülerin.“ Ole und Leo
eilten zum Fenster und sahen sich bedeutungsvoll an. „Mit ein wenig
Unterstützung sollten wir da wohl ran kommen“ riefen sie
gleichzeitig und Ole sauste los, um seine Säge zu holen. „Halt!
Stehen bleiben!“ Oma war entsetzt. Man hatte ihr beigebracht, dass
Misteln nicht einfach so aus der Natur entnommen werden dürfen, und
das erklärte sie den Beiden jetzt erst einmal. „Ja, richtig, Oma, aus der Natur nicht, aber der Baum
da gehört mir und ich darf!“ Leo grinse von einem Ohr zum anderen.
„Das ist mein Geburtsbaum, so einen hat jeder Troll. Und wenn ich
da was abschneide, muss ich nur auf einem anderen Ast eine
Mistelbeere ankleben, damit neue wachsen können. So einfach ist
das.“ Ole stand staunend in der Türe: „Ein eigener Baum für
jeden Troll? Bei uns pflanzt man 100 Büsche Dünengras, wenn ein Trollkind ankommt. Da hat wohl jede
Sippe eine andere Tradition, stelle ich gerade fest.“ „Wie
wundervoll“, rief Oma fröhlich aus. „So bleibt die Natur
lebendig!“ Leo nickte und machte sich mit Ole auf den Weg, um ein
paar Zweige Misteln zu holen. Bewaffnet mit einer kleinen Leiter,
einem langen Seil, einem dänischen Hühnerstein und Oles Säge
dürfte das ja zu bewältigen sein.
Oma und Emilia erledigten in der Zwischenzeit den Abwasch vom
Frühstück und schauten dabei abwechselnd zum Fenster hinaus. Ein
wenig waren sie doch in Sorge um die beiden. Der Baum war schon recht
hoch und es sah wirklich gefährlich aus, was sie da machten.
Sie wären keine echten Trolle gewesen, wenn sie es nicht doch
geschafft hätten und stolz überreichten sie Oma und Emilia je einen
Mistelzweig. Dann fiel Ole der Adventskalender ein und er forderte
seine neuen Freunde, ihn in sein Haus zu begleiten. Zu dritt standen
sie also in seinem Wohnzimmer und als Ole die siebzehn gefunden
hatte, ließ er Emilia den Vortritt. Sie zog vorsichtig an der Schnur
und griff zaghaft in den Strumpf hinein. Vorsichtig zog sie ein kleines Päckchen hervor und öffnete es. Zwei kleine Weingläser kamen zum Vorschein, die sie Ole entgegen hielt. Der jedoch schüttelte den Kopf: "Die sind für euch. Sind doch zwei, die müssen euch gehören. Die Englein schenken immer passend, und ich alleine brauche doch nur ein Glas."
Hocherfreut wickelte Emilia die Gläser vorsichtig wieder ein und
trug sie sofort in ihr neues Zuhause. Einen feinen Himbeerwein hatte
sie ja schon im Sommer gekeltert. Sie freute sich schon sehr, diesen
nun an Weihnachten mit Leo aus diesen Gläsern trinken zu können.
Bisher hatten sie immer die Teetassen genommen und ihn einfach in
Glühwein umfunktioniert. Bei der Kälte im Himbeerwald ging das ja
auch nicht anders. Aber dieses Jahr würde alles anders sein, das
merkte sie schon immer mehr.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen