12.Dezember
Verwirrt schaute Ole sich um und begriff, dass er zu Hause in seinem
Bett lag. „Gott sei Dank“, entfuhr es ihm. Er hatte geträumt,
dass er unbedingt ganz viele Fäden fürs Christkind besorgen wollte
und sich dazu in Omas Wollkorb geschlichen hatte. Er war in ein
Knäuel Wolle mitten hineingeschlüpft und hatte versucht, dort aus
der Mitte Fäden zu stibitzen, damit Oma bloß nichts merken soll.
Ungeschickt wie Trolle nun einmal sind, hatte er sich hoffnungslos
darin verknotet. Und genau in diesem Augenblick war er zum Glück
aufgewacht.
„Fäden fürs Christkind müssen wohl ehrlich verdient werden“,
murmelte er und nahm sich vor, heute mindestens zwei zu ergattern.
Nachdenklich saß er auf der Bettkante und überlegte, wie er das
wohl zu Stande bringen könnte. Oma helfen war ja gut und schön,
aber dafür gab es immer nur einen Faden. Ob der Opa wohl auch was
für ihn zu tun hätte? Fragen könnte ja nichts schaden. Er hüpfte
endgültig aus dem Bett und auf dem Weg zum Bad stolperte er über
eine kleine Eisenbahn, die dort mitten in seinem Zimmer stand.
Erstaunt bückte er sich und nahm die winzige Lok in die Hand fragte
sich verwundert, wo die wohl hergekommen war.
„Die Englein tun sowas nicht. Die wissen doch, dass man sich alle
Knochen brechen kann, wenn sowas einfach so rumsteht ohne Vorwarnung.“ Er schimpfte ohne Unterlass während er den kleinen
Zug beiseite stellte.
„Sowas aber auch! Wenn ich nicht genau wüsste, das hier außer mir
keiner wohnt, würde ich sagen, dass ist das Werk eines schusseligen
Trolls.“ Vielleicht wusste Oma etwas über die Lok? Er würde sie
nachher fragen, wenn er im Bad gewesen war und die Blume versorgt
hatte.
Ole beeilte sich und wollte gerade schon nach Oma rufen, da fiel ihm
der Adventskalender ein. Er suchte also die zwölf und als er sie
gefunden hatte fielen ihm fast die Augen aus dem Kopf. Der Strumpf
war schon geöffnet. Die Schleife baumelte als Faden herunter und als
er hineingriff, fand seine Hand: Nichts! Absolut nichts! Kein Zettel
von den Englein als Hinweis und auch sonst nichts. „Diebe!“ rief
er, so laut er konnte. „Oma, komm schnell, wir haben Einbrecher im
Haus!“ Aufgeregt lief er durch seine Puppenstube und kontrollierte,
was sonst noch alles fehlte. Sein Weihnachtskeks von der heiligen
Barbara war angeknabbert. Ausgerechnet an der Schokoladenseite, die
er doch unbedingt noch hatte aufheben wollen und in der Vorratskammer
fehlte ein ganzes Stück aus dem Käse, den Oma letzte Woche für ihn
gekauft hatte.
Nachdem er sich mit Oma gemeinsam den Schaden angeschaut hatte,
meinte diese nur:
„Die Weihnachtsmaus ist dieses Jahr wohl ein wenig zu früh
dran, wie mir scheint.“
„Weihnachtsmaus? Wer ist das denn und woher kommt sie und warum
klaut sie meine Sachen?“ Ole war sichtlich verärgert wollte gerade
schon in Opas Schuppen laufen um eine Mausefalle zu holen, als ihm
kurz vor der Haustüre das Wort Tradition ins Ohr schlüpfte. Er
stoppte und ging zurück ins Wohnzimmer, wo Oma noch immer
nachdenklich auf den Keks schaute und dann den Käse in die Hand
nahm. „Was ist Tradition Oma? Stehlende Mäuse im Advent? Unordnung
in meinem Haus und ein geplünderter Adventskalender obendrein? Diese
Tradition mag ich nicht, damit du es nur weißt!“ stampfte er wütend mit dem Fuß auf. „Du hast Recht
Ole! Bisher hat die Weihnachtsmaus immer nur in der Christnacht ein
paar Kekse gemopst und wir haben sie ihr gerne überlassen, weil auch
die Tiere Weihnacht feiern sollen. Aber das hier geht zu weit! Wir
müssen etwas unternehmen!“ Oma sank in ihren Sessel und stützte
den Kopf in die Hände. Das kannte Ole schon: Sie musste nachdenken
und dabei durfte man sie nicht stören. Er schlich in die Küche und
fand dort sein Frühstück wie jeden Morgen schon angerichtet.
Nachdenklich trank er seinen Kaffee und als er gerade in sein Brot
beißen wollte, erschreckte ihn Omas: „Ich habs!“ so sehr, dass
er sich beinahe in den Finger gebissen hätte. „Was hast du?“
rief er ärgerlich ins Wohnzimmer hinüber. „Die Lösung für unser
Problem!“ Oma stand schon im Türrahmen und grinste im ganzen
Gesicht. „Wir laden die Weihnachtsmaus samt Familie für den Rest
vom Advent einfach ein und sie kriegt ein eigenes Haus mit allem Drum
und Dran. Dann kann sie deine Vorräte in Ruhe lassen und mir bleibt
die Aufregung am frühen Morgen erspart.“ „Na, ob das dem Opa
aber gefällt? Mäuse im Haus?“ Ole war ein wenig skeptisch. Diese
Oma hat aber auch jeden Tag eine neue Idee, dachte er bei sich und
konnte nur mit Mühe verhindern, es laut auszusprechen. „Wie willst
du die Mäuse denn einladen? Können die etwa lesen?“ Immer noch
voller Zweifel, ob das alles so richtig sein konnte, saß er da und
rührte gedankenverloren in seinem Kaffee. Oma hatte seine Frage
schon nicht mehr gehört. Sie war, so schnell sie konnte, auf den
Dachboden gelaufen und er konnte hören, wie sie dort herumkramte.
Sein Brot war längst aufgegessen und der Kaffee getrunken, als sie
endlich wieder in der Küche erschien. In der Hand hielt sie ein
kleines schneebedecktes Haus und hielt es ihm entgegen. „Denkst du,
dieses Haus würde ihnen gefallen?“ fragte sie und stellte es auf
den Küchentisch. „Schön ist es und genau passend“, meinte Ole. „ Würde ich auch schon nehmen, wenn
es nicht zu klein wäre.“
„Prima, dann werde ich es im Wohnzimmer aufstellen, den Weg kennen
sie ja. Ich habe mir überlegt, dass ich ihnen einen Wegweiser machen
werde, damit sie sich nicht mehr in dein Haus verlaufen. Wir legen
eine Krümelspur aus Weihnachtskeksen genau bis zur ihrer Haustüre,
dass werden sie wohl hoffentlich verstehen.“
„Meine Kekskrümel, die du für mich aufgehoben hast für den
Nachmittagstee?“ Ole war nicht sehr begeistert von dieser Idee und
machte ein langes Gesicht. Oma schüttelte den Kopf: „ Nein, die
gehören dir alleine. Wir werden einfach einen Keks aus meiner
Nikolaustüte zerkrümeln, ich teile gerne mit den Mäusen. Sie
finden draußen ja nicht mehr genug in der Natur, drum sind sie wohl
dieses Jahr ein wenig früher ins Haus gekommen. Im letzten Jahr gab
es dein Puppenhaus und dich ja noch nicht im Wohnzimmer.
Wahrscheinlich haben sie da auch schon stibitzt, aber aus der Tüte
vom Nikolaus und keiner hat es bemerkt.“ „Na gut, ich helfe dir
beim Krümeln, wenn es denn sein muss.“Ole stand auf und umrundete
das Haus ein paar Mal. „Da sind keine Möbel drin“, meinte er und
schaute Oma fragend an.
„Wir werden sehen, was wir tun können,“ war ihre Antwort
darauf. Oma nahm das Haus und Ole hüpfte in ihre Schürzentasche. Gemeinsam ging es ins
Wohnzimmer und nach langer Suche hatten sie den richtigen Platz
gefunden. Gleich neben Omas Märchensessel, von dem Opa immer sagte,
es sei seiner, weil er ihn geschenkt bekommen hatte. „So, dann habe
ich ja wohl ab morgen Nachbarn, die ich wohl auch mal einladen
werde“, freute Ole sich und Oma lachte: „Vielleicht wollen die
Mausekinder auch mal mit dir mit der Eisenbahn spielen und du zeigst
ihnen dann, wie man aufräumt, wenn man zu Ende gespielt hat.“ Ole
zerkrümelte einen ganzen Weihnachtskeks aus Omas Tüte und streute
die Krümelchen dann durchs halbe Wohnzimmer bis zur Türe. Er
betrachtete sein Werk„Sollte wohl reichen, was meinst du, Oma?“
Die nickte und war froh, dass sie nicht hatte über den Boden
kriechen müssen. Sie zog ein Bündel der besonderen Fäden aus ihrer
Schürzentasche und reichte einen davon Ole. „Hier, für heute
Morgen. Du weißt schon:
Die Barbarablume …….“ Ole nahm ihn und wollte gerade fragen, wo er ihn denn nun
hinlegen müsse, damit die Englein ihn abholen könnten, als sie
ihm noch einen Zweiten
entgegenhielt.
„Wofür ist der denn?“ Ole nehm ihn verwundert entgegen und
heimlich freute er sich, dass er es geschafft hatte, heute doch zwei
Fäden zu bekommen. „Na für deine Hilfe mit den Krümeln, ich kann
mich doch so schlecht bücken und dafür, das du dich über die neuen
Nachbarn freust und keine Vorurteile hast, obwohl du sie nicht
kennst.“ Ole stand ratlos da und fragte dann doch noch, wo die
Englein die Fädchen denn nun abholen würden. Es waren zwar nicht
seine Ersten fürs Bett vom Christkind aber immer zum Nikolaus
klettern war mühselig. Er hatte ja so gar keine Erfahrung mit den
Sitten in der Eifel. Oma zeigte auf das Fensterbrett in Oles Küche
und meinte: „Leg sie einfach dort hin. Die Englein kommen ja nachts
sowieso zu dir, den Adventskalender kontrollieren. Da können sie die
gleich mitnehmen.“ Das ließ er sich nicht zwei Mal sagen und
spendierte den Englein sogar noch ein großes Stück von seinem, nun ohnehin schon
angeknabberten, Barbarakeks als Wegzehrung. „Komm, wir gehen
einkaufen“, forderte Oma ihn auf. „Erstens brauchen die Weihnachtsmäuse ihre Ruhe, damit sie ins
Haus finden können und zweitens bekommen wir heute Abend einen
Feriengast. Es ist Wochenende und einer unserer Enkel möchte bei uns
übernachten.“ Ole machte einen Luftsprung und flitzte schnell in
sein Schlafzimmer. Dort holte er seine Handschuhe und Schal und Mütze
und flitze dann zu Omas Handtasche. Da im Seitenfach durfte er immer
sitzen, wenn sie ihn mitnahm in die Stadt. Er hüpfte hinein und
rief: „Fertig! Wir können los Oma. Wo bleibst du denn?“
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