10.Dezember

10.Dezember


Draußen regnete es und der Himmel war so bedeckt, dass die Sonnenstrahlen Ole nicht wecken konnten. Trotzdem wachte er recht früh auf und ging seinen morgendlichen Weg zum Bad und dann zur Treppe mit dem Adventskalender. Die Zehn war schnell gefunden und die Neugier ließ Ole zu ungeduldig an der Schnur ziehen. Schwupps! Da war es geschehen: Ein dicker Knoten verschloss die Socke nun ganz und gar. Ratlos ließ er sie sinken und rief nach Oma. Die war doch sicher schon wach und werkelte in der Küche. „Wo sie nur bleibt“, fragte er sich schon einen Augenblick später.
Trolle sind von Natur aus sehr ungeduldig. Er schnupperte am Strumpf und drückte darauf herum. Nichts zu hören und absolut geruchlos! Nicht der kleinste Hinweis auf den Inhalt und Oma war immer noch nicht da. So laut er konnte, rief er: „Hilfe!“ Sekunden später eilte sie herbei und ein besorgtes:
„Was ist passiert? Tut dir was weh?“ ertönte schon aus dem Flur, bevor sie im Wohnzimmer angekommen war. „Nein, nichts tut weh. Die Socke ist verknotet! Mein Geschenk will heute nicht aus dem Adventskalender steigen. Das ist passiert!“ Oma schüttelte den Kopf und war ein wenig ärgerlich. „Deswegen ruft man aber doch nicht um Hilfe wie bei einem Unfall, mein lieber Herr Nisser!“ „Aber das war doch ein Unfall! Ich hab den Knoten aus Versehen gemacht und kriege ihn nicht auf. Da muss ich doch Hilfe rufen, wenn ich Hilfe brauche.“ Wortlos verließ Oma das Wohnzimmer und kam kurz darauf mit einer Schere zurück. Mit schreckgeweiteten Augen stotterte Ole: „ Nicht zerschneiden! Die Socken passen mir perfekt und ich brauche sie doch für den Winter!“ „Doch nicht die Socke, du kleiner Naseweis. Ich zerschneide nur die Schnur damit sie aufgeht. Den Knoten, den du da gemacht hast, bekomme ich nicht mehr auf.“
Oma glaubte den Stein zu hören, der da von Oles Trollherz plumpste und lächelte ein wenig. Schnipps! machte es und die Socke fiel auf die Treppe. Aufheben und hineingreifen waren eins und freudig hielt er ein paar winzige Handschuhe in der Hand.
„Wenn das so weitergeht, Oma, dann brauche ich einen neuen Kleiderschrank“, stellte Ole erstaunt fest und probierte sie gleich an.





  Sie passten wie angegossen. Schnell verstaute er sie in seinem Schrank und meinte dann: „ So eine      Aufregung macht Hunger. Was gibt es denn zum Frühstück?“
„Siehst du gleich“, kam es von Oma ein wenig geheimnisvoll. Sie trug ihn in die Küche und stellte ihn auf dem Küchentisch ab. Dort konnte er nun wie gewöhnlich an seinem kleinen Tisch Platz nehmen und musste warten. „Trolle können nicht warten. Ob die Oma das schon wieder vergessen hat“, dachte er ein wenig zu laut. „Nein habe ich nicht! wenn du mich nicht gestört hättest mit deinem Hilferuf, dann müsstest du jetzt nicht warten. So ist das!“ schimpfte sie vom Herd herüber. Ups! Das hatte sie wohl gehört. Er wartete also und trommelte mit dem Finger auf dem Tisch. Nach ziemlich genau 3 Minuten servierte Oma ihm einen herrlich duftenden Apfelpfannkuchen mit Zimt und Zucker und eine Tasse Tee dazu.
„Bitteschön der Herr! Guten Appetit wünsche ich dir.“ Sie setzte sich auf ihren Stuhl und sah ihm dabei zu, wie er in Windeseile den Pfannkuchen verdrückte. „Den kannst du öfter machen“, sagte er kauend und schob sich das letzte Stückchen in den Mund. Er schob den Teller von sich und schluckte die Reste hinunter. Dann sah er Oma erwartungsvoll an: „Und was machen wir heute? Ihr habt doch bestimmt noch mehr komische Sachen, die man hier in der Eifel im Advent so macht?“ „Mein lieber Ole, nichts ist komisch. Alles ist Tradition und soll weitergegeben werden. Das ist wichtig. So wie euer Julklapp in Dänemark. Dir würde doch auch etwas fehlen, wenn das dort in Vergessenheit geraten würde, oder nicht?“erklärte sie. „Den Julklapp abschaffen? Nie und nimmer würden die das tun. Da fehlt doch dann was im Advent.“ Er schüttelte heftig den Kopf und schaute sie dann ganz entrüstet an. „Na also“, meinte Oma, „da hast du es ja schon. Jedes Land und jede Region hat ihre verschiedenen Traditionen und die sind nicht komisch, sondern neu und ungewohnt, wenn man sie nicht kennt. Das geht doch jedem so, wenn er aus- oder einwandert.“ Das hatte er sofort verstanden. Er war ja selber ein Einwanderer in der Eifel und ausgewandert aus Holmsland- Klit. „Aber da du schon fragst, mein Lieber“, verkündete Oma in seine Überlegungen hinein, „Wir basteln heute Strohsterne für den Weihnachtsbaum. Aber erst, wenn meine Enkelkinder da sind. Sie wollen gerne helfen und auch welche für ihren Baum basteln.“
„Wann kommen sie denn?“ wollte er wissen und konnte sich die Antwort schon denken. Erst mittags, wenn der Kindergarten zu ende ist. Die kamen nie früher zu Besuch. „Schon wieder warten.“ moserte er vor sich hin. „Ach was“, meinte Oma, „wir können schon ganz viel vorbereiten dafür.“ Sie stellte eine Plastikschüssel mit Wasser auf den Tisch und legte ein dickes Bündel Stroh daneben. „ Das Stroh muss eingeweicht werden, aber bitte nur die Halme ohne Knicke oder Knoten.
Und sie müssen mindestens so lang sein, dass sie über deinen Kopf hinausragen, wenn du sie hinstellst. Alle Anderen können wir nicht gebrauchen. Schaffst du das?“ Das war mal eine Aufgabe, die er bestimmt prima erledigen konnte. Ole sprang mitten in das Bündel Stroh und begann damit, passende Halme auszuwählen und in die Schüssel zu werfen.




Oma baute in der Zwischenzeit ihr Bügelbrett auf und heizte das Bügeleisen vor. Der Vormittag verging schneller als Ole je gedacht hätte und als es kurz nach dem Mittagsläuten von der Kirche gegenüber an der Türe klopfte, war er gerade erst fertig mit seiner Arbeit. Oma öffnete ihrer Tochter und den beiden Enkeln, die sofort in die Küche stürmten. Dort gab es dann erst einmal einen Apfelpfannkuchen für jeden und dann ging es an die Arbeit. Ole fischte einzelne Strohhalme aus dem Wasser. Oma bügelte die Strohhalme glatt, nachdem ihre Tochter sie mit einer Nagelschere aufgeschlitzt hatte und die Kinder legten sie der Größe nach sortiert auf ein Tablett. Als alle Strohalme gebügelt waren und bereit lagen, räumte Oma die Schüssel beiseite und trocknete Ole ein wenig ab. Er war pitschnass geworden und hatte den ganzen Tisch vollgetropft bei seiner Arbeit mit dem nassen Stroh. „Was machen wir denn nun mit dem geplätteten Stroh?“ fragte Ole und wartete gespannt auf eine neue Aufgabe. „Das zeige ich euch gleich, wenn ich einen Klebestift und eine Rolle gelbes Garn geholt habe.“ Oma war schon auf dem Weg zum Bastelschrank und tauchte gleich darauf mit den benötigten Dingen wieder auf. Sie setzte sich auf ihren Stuhl und nahm zwei Strohhalme vom Tablett. „Schaut her, so geht das.“ erklärte sie und legte die beiden Halme genau über Kreuz auf den Tisch. Es sah aus wie ein großes Plus, aber das konnten Ole und die Kinder nicht wissen, weil sie vom Rechnen keine Ahnung haben. Zwei weitere Strohhalme kamen dazu und nun sah es schon aus wie ein Stern.
Naja fast. Oma klebte die Strohhalme in der Mitte zusammen  und wickelte noch ein wenig gelben Faden darum, damit es auch hält. Dann nahm sie eine kleine Schere und schnitt an den Enden der Strohhalme noch eine Spitze oder einen Zacken zu und fertig war der Stern. Nun, da sie genau gesehen hatten, was zu tun war, begannen alle fleißig zu kleben und zu schneiden. Nur Ole nicht. Der schaute lieber zu. „Nee danke“, rief er,
„nachher klebe ich an den Sternen fest…. Das ist nichts für mich.“ „Auch wieder wahr, dann schaust du eben zu oder suchst passende Halme aus. Du findest schon eine ungefährliche Aufgabe, da bin ich sicher.“


Aber er hörte Omas Worte schon nicht mehr, weil er doch tatsächlich mitten auf dem Tisch eingeschlafen war. Alle lachten und Oma brachte ihn in sein Bett, damit er nicht aus Versehen doch noch irgendwo dazu geklebt wurde.

Kommentare